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16.02.2025

Der Pia-Sundhage-Effekt

Die 17’306 Zuschauer beim Test gegen Deutschland im November 2024 sollten der Bruchteil eines Vorgeschmacks davon gewesen sein, was im Juli 2025 die Schweiz kommt: Knapp eine Viertelmillion Fans wollen die Organisatoren an der EM sehen
Die 17’306 Zuschauer beim Test gegen Deutschland im November 2024 sollten der Bruchteil eines Vorgeschmacks davon gewesen sein, was im Juli 2025 die Schweiz kommt: Knapp eine Viertelmillion Fans wollen die Organisatoren an der EM sehen Bild: Archiv
17’306: Von einer solchen Zuschauerzahl hat man vor einem Jahr noch geträumt. Heute aber lässt sie den Frauenfussballfan träumen. Träumen, dass die Heim-Europameisterschaft im nächsten Sommer euphorisch wird. Aber auch träumen, dass der Frauenfussball in der Schweiz langfristig besser wird, analysiert stgallen24-Fussballexpertin Simea Rüegg.

Zum Abschluss des Jahres 2024 testete das Schweizer Frauennationalteam erneut doppelt. Gegen Deutschland unterlag es zu Hause mit 0:6 und in England resultierte ein knappes 0:1. Aus nummerischer Sicht waren es zwei ernüchternde Affichen.

«Über diese Ergebnisse freut sich niemand, aber es war sicher eine Lehre für uns», bilanzierte Ana-Maria Crnogorčević gegenüber SRF. Doch die Resultate sind ausnahmsweise von wenig Belang.

Was zählt, ist die Leistung auf dem Platz, der Teamgeist, der Mut und die Hartnäckigkeit. Alles Attribute, die der objektiven Zuschauer ein Jahr lang vergebens beim rot-weissen Team gesucht hatte.

Jetzt sind sie zurück. Spätestens seit Ende Oktober, als die Schweiz in zwei Heim-Testspielen gegen Australien (1:1) knapp an einem Sieg vorbeischrammte und Frankreich kurz darauf sensationell mit 2:1 düpierte.

Auf und neben dem Platz Erfreuliches: Neben der Leistung der Fussballerinnen zeigen auch die Publikumszahlen nach oben. Die Schweizer Zuschauerrekorde der letzten zehn Jahre im Überblick Bild: sfv.ch

Der rundum vorherrschende Enthusiasmus ist gut begründet. Die Schweiz blickt auf ein über alle Weiten hin ernüchterndes und enttäuschendes 2023 zurück. Der Trainerwechsel zu Inka Grings am Anfang des WM-Jahres verfehlte die gewünschte Wirkung: 16 Spiele, 2 Siege – WM inklusive.

Weder Resultate noch Leistung stimmten. Mit ideenlos, passiv und unsicher umschreibt sich das Formtief. Dabei hatte man im Frühling eben dieses 2023 den Zuschlag als EM-Gastgeberin fürs Jahr 2025 gekriegt.

Zwischen Pragmatismus und Optimismus

Daraufhin begann das Jahr 2024 genau gleich wie das vorherige: Der Verband stellte eine neue Trainerin vor. Aber nicht irgendeine, nein: Pia Sundhage ist ein grosser Name im Frauenfussball.

«Jackpot für die Schweiz»

Sympathieträgerin und Wegbereiterin, Musikliebhaberin und Empathietalent – Pia Sundhage ist vielseitig. Aber vor allem ist sie eines: erfolgreich. Sie weiss, was ihr Team braucht. Das bewies sie als Headcoach der USA, die sie zu zwei Olympiasiegen führte. Das bewies sie zuletzt, als sie mit Brasilien eine Copa América gewann und das Können des Teams innert vier Jahren enorm steigerte. Und das beweist sie aktuell als Dirigentin der Schweizer Equipe.

Die 64-jährige Schwedin im Kurzporträt von SRF

FC-Basel-Coach Kim Kulig ist sich gegenüber der «Thurgauer Zeitung» sicher: «Eine Welttrainerin wie Pia Sundhage ist ein Glücksfall für die Schweiz.» Und tatsächlich: Die Schwedin war ein verheissungsvoller Lichtblick, der sich bewährt hat.

Grosser Anteil daran hat primär Sundhages Art. Während es zwischen ihrer Vorgängerin und der Nati offenbar einfach nie wirklich geklickt hatte, scheint Sundhage einen überaus guten Draht zu ihren Spielerinnen gefunden zu haben.

«Mit Ruhe und Präsenz gibt sie dem Team Raum – das zeigt Wirkung», bilanziert SRF-Expertin Rachel Rinast. Insbesondere das Stichwort ‘Ruhe’ ist auch von den Spielerinnen wie Ana-Maria Crnogorčević vielzitiert, wenn sie von ihrer Trainerin sprechen.

«Die Verpflichtung von Pia Sundhage ist ein Meilenstein im Schweizer Frauenfussball.»
SFV-Präsident Dominique Blanc zur neuen Trainerin vor deren Amtsantritt im Januar 2024

Der zweite Faktor des Erfolgsrezepts basiert auf Sundhages Fachkompetenz: Sie hat an den richtigen Schaltern gedreht. An die Stelle des defensiv stabilen 4-4-2-Spielsystems rückte ein 4-3-3, das Ballbesitz und Kontrolle im Spielaufbau priorisiert.

Das Angriffsspiel wurde flexibler, ohne die Abwehr zu schwächen. So punktete Sundhage gleich doppelt. Sie wirkte der Schweizer Torflaute entgegen. Und sie webte die Stärken der Nati-Neulinge nahtlos ein.

Mit Blick auf das heimische Highlight vom nächsten Sommer liess die Schwedin nämlich junge Kräfte wie Iman Beney, Sydney Schertenleib und Naomi Luyet an den Ball. Es war Sundhages dritter Streich.

Unbekümmert und frech glänzen die jungen Frauen – auch als Beleg für die augenscheinlich erfolgreiche Schweizer Nachwuchsarbeit. Sie integrierten sich in das bestehende Bollwerk der routinierten Kräfte. Das Gesamtpaket harmoniert rundum.

Der erste Dominostein

Pia Sundhage ist das Puzzleteil, das der Nati gefehlt hat. Auf die Erfolgstrainerin Martina Voss-Tecklenburg folgten sechs spielerisch mittelmässige Jahre.

Jetzt ist unter Sundhage ein Team heran- und über sich hinausgewachsen. Mit ihr fiel der erste Dominostein. Es folgte eine Entwicklung, von der Niederlagen gegen Polen im Februar und gegen Ungarn im Juni zeugen, aber auch der Sieg gegen Frankreich im Oktober. Es ist eine Lernkurve, die nach oben zeigt.

Die Schweiz startet ins EM-Jahr und kann ein Team vorweisen, das wieder mit Freude Fussball spielt. Und so das Zuschauen zur Freude macht. Mit Blick auf die Heim-EM ein unbezahlbares Gut.

Der fif-a.blog von stgallen24-Fussballexpertin Simea Rüegg beschäftigt sich mit Frauen iFussball. Die aktive Spielerin (FC Frauenfeld) schreibt über «Spannendes von gestern, Interessantes von heute und Entwicklungen von morgen».

Das «a» im Titel stehe für vieles, so Rüegg: unter anderem für «Allgemeines zum Thema», für «Abseits des Rampenlichts» – oder schlicht und einfach für die weibliche Seite des Fussballs.

Simea Rüegg, fif-a.blog / Toggenburg24