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17.12.2022

"Güllens grünes Gemüse" - ein Buch zur St. Gallen Jugendkultur

Die weltweiten Klimastreiks bewegten auch die Stadt St. Gallen: Jugendliche im Mai 2019 am Klimastreiktag vor dem Vadian Denkmal. (Archivbild)
Die weltweiten Klimastreiks bewegten auch die Stadt St. Gallen: Jugendliche im Mai 2019 am Klimastreiktag vor dem Vadian Denkmal. (Archivbild) Bild: KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER
Anlässlich des Jubiläums "Ein halbes Jahrhundert Jugendkultur und städtische Jugendarbeit" ist Anfang Dezember das Buch "Güllens grünes Gemüse" erschienen. Ein umfangreiches Stück Zeitgeschichte in Bild und Wort.

Das Buch "Güllens grünes Gemüse", erschienen in der Schriftenreihe der Stadt St. Gallen, beleuchtet schlaglichtartig Aufbruch, Kampf, Dialog, Befreiung und Vernetzung der St. Galler Jugendbewegungen. Bilder aus Privatarchiven, Berichte von Zeitzeugen, Plakate von Konzerten und persönliche Geschichten geben auf 328 Seiten einen Überblick über die bewegte Jugend in der Stadt St. Gallen von 1968 bis ins Jahr 2020.

Eine wichtige Rolle spielt dabei das 1974 gegründete Jugendsekretariat. "Die städtische Jugendarbeit ist eng mit der kulturellen Entwicklung verbunden gewesen", sagte Simone Meyer, seit 2018 Fachmitarbeiterin Offene Jugendarbeit, am Donnerstag anlässlich eines Themenabends zu "50 Jahre Jugendkultur". Sie habe in ihrem Buch auch aufzeigen wollen, wie sich Jugendbewegung und städtische Jugendarbeit wechselseitig beeinflusst und befruchtet haben.

Geschichten von Zeitzeugen

"Güllens grünes Gemüse" lässt Engagement, Leichtsinn, Abenteuer und Beharrlichkeit der jungen St. Gallerinnen und St. Galler von einst und heute aufleben. "Es sind ganz viele persönlich gefärbte Geschichten zusammengekommen", sagte die Autorin, die nicht nur das Stadt- und Staatsarchiv durchforstete, sondern auch unzählige Zeitzeuginnen und -zeugen befragte.

Ein grosses Plus des Buches sind die unzähligen Bilder und Plakate aus Privatarchiven: In den 1960er- und 1970er-Jahren sind es der legendäre Club "Africana", das Open Air St. Gallen oder das erste Jugendhaus, wo sich die Jugendkultur der St. Galler Hippies, Rocker und Punks entwickelte.

Im Nachgang der 68er-Bewegung erwachte die linke Szene in St. Gallen. Die Zeitschrift "Roter Gallus" sorgte für rote Köpfe und ein Strafverfahren. Damals wie heute geht es den Jugendlichen vor allem um Freiräume: In den 1980er-Jahren macht sich die linke Szene für ein Autonomes Jugendzentrum (AJZ) stark.

Die "Güllen"-Bewegung

Die "Güller"-Bewegung bekommt 1981 von den Stadtbehörden ein Abbruchobjekt als AJZ zur Verfügung gestellt. "Gülle heisst Jauche, Scheisse - als solches nahmen die Bewegten die Stadt St. Gallen wahr und drückten mit dem Wortspiel ihre Unzufriedenheit aus", heisst es im Buch. Ihre Ideen hatten oft gegen den Widerstand der Behörden zu kämpfen. Die Forderung nach günstigem Wohnraum gipfelte 1988 in der Besetzung des leerstehenden Hotels Hecht.

In den 1990er-Jahren seien Jugendfragen von Politik und Verwaltung merklich ernster genommen worden - auch dank der städtischen Jugendarbeit, so Meier. Neue Musikstile entstanden. Im Buch erhält die Hip-Hop-Bewegung einen Schwerpunkt. In den Jahren danach vermischten sich die Szenen. "Es wird immer schwieriger individuell zu sein", sagte die Autorin. Das vergangene Jahrzehnt steht im Zeichen der Vernetzung. Die Klimabewegung habe die Stadt bewegt, weil die Jugendlichen unkonventionell und laut gewesen seien.

Kulturelle Experimente

Die Grabenhalle, der Schwarzer Engel, die Comedia: Alles genossenschaftlich organisierte Betriebe, die in den 1980er-Jahren entstanden und heute noch Bestand haben. "Die Grabenhalle hat eine grosse Rolle bei Sozialisation vieler Jugendlicher gespielt", sagte Jogi Neufeld, der in den 1980er-Jahren unzählige Konzerte organisierte.

Neufeld liess in seinem mit Anekdoten und gespickten Vortrag im Schwarzen Engel unter anderem legendäre Konzerte mit Bad Religion und Bad Brains wieder aufleben. Die Grabenhalle bot Platz für kulturelle Experimente. Drei Akkorde mussten reichten, um die Popkultur neu zu definieren. Es entstand auch eine reiche Plakatkultur und unzählige Fanzines.

Die Folgen des Punk wirken bis heute nach, in Musik, Mode und bildender Kunst. Auch das Buch "Güllens grünes Gemüse" erinnert im Design stark an "Hot Love Swiss Punk & Wave 1976-1980". Das vergriffene Werk erhielt 2006 vom Bundesamt für Kultur die Auszeichnung "Schönstes Buch der Schweiz".

"Hot Love" ist ein Song der Nasal Boys. Mitglied einer der ersten Schweizer Punkbands war Rams. Der Zürcher Musiker spielte am Donnerstag nach der Rückblende auf die St. Galler Jugendkultur mit seinem Trio in der Grabenhalle - auch nach 45 Jahren auf der Bühne versprühte der Bassist und Sänger viel "Lust for Life".

  • Das Buch "Güllens grünes Gemüse" gibt einen Überblick über die bewegte Jugend in der Stadt St. Gallen von 1968 bis ins Jahr 2020. Bild: Stadt St. Gallen
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  • Der Bad-Religion-Sänger Greg Graffin aufgenommen 2008 am Open Air St. Gallen. Knapp 20 Jahre zuvor hatte die US-Band in der Grabenhalle ihr erste Schweizer Konzert gespielt. (Archivbild) Bild: KEYSTONE/ENNIO LEANZA
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Keystone-SDA/Toggenburg24