In der Stadt St.Gallen fand das vermutlich erste Strassenrennen auf Fahrrädern am Sonntag, 25. Juni 1893 um 14 Uhr auf dem Rosenberg statt. Im Rahmen dieses Sportanlasses wurden insgesamt vier Rennen bestritten: Je ein Bergwettfahren auf Hoch- und Niederrad, sowie zwei Juniorfahrten, eine für Kinder bis 14 Jahre und die zweite für Jugendliche vom 14. bis 18. Lebensjahr.
Organisiert wurde der Anlass vom «Bicycle-Klub St.Gallen». Eine Mitgliedschaft war Voraussetzung für die Teilnahme.
In der Folge häuften sich die Velorennen auf Stadtgebiet.
In den 1920er- bis 1960er-Jahren bearbeitete der Stadtrat regelmässig Gesuche um die Durchführung von Velorennen aller Art. Meistens ging es um die Absperrung des öffentlichen Verkehrs und die Beschilderung der Streckenführung. Aufgrund des grossen Interesses des Publikums bewilligte der Stadtrat die meisten Gesuche umgehend. Dazu gehörten Rundstreckenfahrten, Dreilinden-Stafetten, Radball-Turniere, Ostschweizerische Militärradfahrtage, Querfeldein-Meisterschaften und viele mehr.
In Ergänzung zu diesen Strassenrennen fanden um 1900 auch Velorennen auf einer eigens dafür errichteten Rennbahn statt. Die erhöhte Kurvenführung ermöglichte höhere Geschwindigkeiten und das Publikum konnte das ganze Rennen aktiv mitverfolgen, anstatt nur immer einen Ausschnitt zu sehen. Auch Eintrittsgelder konnten nun von den Veranstaltern verlangt werden.
Die erste und bisher einzige Radrennbahn in der Stadt St.Gallen wurde auf Initiative eines Velohändlers namens Louis Andreazzi errichtet. Im Jahr 1905 reichte er ein Baugesuch mitsamt Situations- und Konstruktionsplänen ein. Als Standort wählte er eine freie Wiese an der Rehetobelstrasse 17 im Krontal in der Gemeinde Tablat.
Die zuständige Baukommission entsprach widerwillig dem Antrag mit der Auflage, die Rennbahn müsse bei Bedarf schnell wieder entfernt werden können. Sicher war man sich gegenüber dem neuen Radsport noch nicht. Der Aufbau der Bahn erfolgte in nur wenigen Monaten. Die offizielle Eröffnungsfeier fand am Sonntag, 18. Juni 1905 um 14 Uhr statt. Das folgende Programm wurde geboten:
- Eröffnungsfahren über 1’200 Meter, offen für alle Rennfahrer
- Fliegermeisterschaft (Schnellfahren), offen für alle Rennfahrer
- Duell zwischen den zwei Siegern auf 900 Metern um einen Ehrenkranz
- Fahren um verschiedene Prämien über 1’800 Meter
- Diverse Rennen wie ein Wettrennen zu Fuss, Kunstfahren und Ähnliches(1)
Zeitungsberichten zufolge soll der Anlass ein grosser Erfolg gewesen sein.
Die St.Galler begeisterten sich für die neue Sportart und diese Art von Wettkämpfen. Vor allem die Hochgeschwindigkeitsrennen erfreuten sich grosser Beliebtheit. In der Folge erschienen in den Zeitungen stetig Werbungen zur «Rennbahn St.Gallen». Die Eintrittspreise beliefen sich auf 1.50 Franken für die erste, 80 Rappen für die zweite und 50 Rappen für die dritte Reihe.
Die Abwechslung bei den sportlichen Darbietungen wurde auch in den Folgejahren beibehalten, von Tandemrennen über Rekordversuche im Schnellfahren bis zu Rennduellen Mann gegen Mann wurde vieles geboten. Bereits 1906/7 zeigten sich jedoch Ermüdungserscheinungen. Dazu kamen schlechtes Wetter und Platznot für andere sportliche Veranstaltungen, was dazu führte, dass die Rennbahn auch zunehmend als Fussballplatz genutzt wurde. So fand 1908 ein Schweizer Meisterschaftsspiel zwischen den Old Boys Basel und dem FC St.Gallen statt.
Aufgrund finanzieller Probleme musste Andreazzi die Rennbahn schliesslich verkaufen. Nach mehrmaliger Handänderung wurde sie im Sommer 1908 abgebrochen, um einer Überbauung Platz zu machen. Damit endete die kurze, aber ereignisreiche Geschichte der Rennbahn St.Fiden-Krontal. Einzig das Restaurant «Rennbahn» unmittelbar neben der einstigen Rennstrecke an der Rehetobelstrasse 15 erinnert noch an die sportliche Vergangenheit.
Der Konkurs der Radrennbahn war ein Symptom des schwindenden Interesses an Velorennen um 1910.
Was war geschehen? Der Radsport bekam in dieser Zeit Konkurrenz durch andere Sportarten, in der Schweiz vor allem durch den Fussball. Wie bereits erwähnt wurde die Rennbahn in ihrer Schlussphase auch öfter für Fussballspiele genutzt. Dieses Sportereignis bot mehr Spektakel, mehr Abwechslung und einen dynamischeren Spielverlauf als die Velorennen, bei denen die Sportler nur im Kreis herumfuhren und bei denen oft minuten- oder stundenlang «kaum» etwas passierte.
Mit dem Aufkommen des Automobils und des motorisierten Rennsports schien die Zukunft des Velorennens dann definitiv gezählt. Immer mehr Sponsoren und Hersteller von Fahrrädern wechselten in den Automobilsport. Dasselbe galt für die Magazine, die zunehmend mehr über Motor- als über Radsport berichteten.
Dass der Radsport ab den 1940er-Jahren wieder so populär wurde, verdankte er vor allem einem Grossereignis: der Gründung der Tour de France.
(1) Uhler, Peter, Geschichte der Radrennbahn St.Fiden-Krontal, S.7.