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Sport
13.02.2024

Faszination Gewichtheben

Im November schaffte Tanja Schmid die EM-Limite von 190 Kilogramm beim Gewichtheben (86 Kilogramm im Reissen und 108 Kilogramm im Stossen). Am Donnerstag darf sie sich in Bulgarien mit den stärksten Frauen Europas messen.
Im November schaffte Tanja Schmid die EM-Limite von 190 Kilogramm beim Gewichtheben (86 Kilogramm im Reissen und 108 Kilogramm im Stossen). Am Donnerstag darf sie sich in Bulgarien mit den stärksten Frauen Europas messen. Bild: zVg.
Leichtathletik, Kanufahren, Crossfit und nun Gewichtheben: Tanja Schmid hat im Kraftsport ihre grosse Passion gefunden. Diese Woche startet die gebürtige Schaffhauserin an den Europameisterschaften im Gewichtheben in Bulgarien. Ein beachtlicher Meilenstein in der sportlichen Karriere der Primarschullehrerin.

194 Kilogramm hat Tanja Schmid im November 2023 in Staad gestemmt – mit dieser Leistung hat die gebürtige Schaffhauserin sieben Schweizer Rekorde geknackt und sich zugleich für die Elite Europameisterschaften 2024 in Bulgarien qualifiziert (86 Kilogramm im Reissen und 108 Kilogramm im Stossen). Diesen Donnerstag, 15. Februar, steht die Athletin erstmals an einem internationalen Grosswettkampf im Einsatz. Die 33-jährige Primarschullehrerin ist eine von vier Schweizern, welche das Land an der EM vertreten. Sie startet in der Kategorie bis 64 Kilogramm.  

Anfänge in der Leichtathletik

Tanja Schmid ist in Schaffhausen aufgewachsen und wohnt aktuell im St. Galler Rheintal in Marbach. Schon immer war der Sport eine ihrer grossen Leidenschaften. Ihre Anfänge machte die ambitionierte Hobbysportlerin beim Turnverein Satus Schaffhausen, anschliessend wechselte sie zum LC Schaffhausen. Mit 16 Jahren entschied sie sich, dem Kanuclub Schaffhausen beizutreten, wo sie einige Jahre lang aktiv war. «Während meinem Auslandsjahr in Australien wurde ich dann auf Crossfit aufmerksam», erzählt die 33-Jährige. Doch sie traute sich damals nicht, sich für das intensive Kraft- und Ausdauerprogramm anzumelden. «Erst mit dem beruflichen Wechsel nach St. Gallen kam dieser Schritt. Zwei Mitarbeiter nahmen mich einfach mal mit ins Training.» 

Sofort verfiel sie dem Sport. «Ich wurde immer angefressener, sodass ich das Trainingspensum innerhalb von zwei Jahren von einmal pro Woche auf fünf Einheiten erhöhte.» Während zwei Jahren betrieb sie sehr intensiv Crossfit und war nebenher weiterhin im Turnverein aktiv. «Mit der Zeit begann ich zu überlegen, wo ich mich weiter verbessern kann», erzählt sie. Gemeinsam mit ihren damaligen Trainern fiel der Entscheid auf das Gewichtheben. «Das war immer meine Stärke, Ausdauer hingegen lag mir immer weniger», gibt sie zu. Da sie zu diesem Zeitpunkt sehr viel ins Crossfit investierte, war es keine einfache Entscheidung, sich nun auf nur eine Disziplin zu fokussieren. «Dass ich bei meinem ersten Gewichtheber-Wettkampf jedoch bereits sehr nah an die EM-Limite von damals 180 Kilogramm kam, bestärkte mich, es zu versuchen.» Noch im selben Jahr wurde diese Limite jedoch auf 190 Kilogramm erhöht. 

Bis zu drei Stunden Training am Tag

Seit Sommer 2023 wird Tanja Schmid vom deutschen Trainer Mike Riesterer gecoacht. Fünfmal pro Woche trainiert sie Gewichtheben, Athletiktraining wurde aus dem Trainingsplan gestrichen. «Dehnen gehört aber zur täglichen Routine und alle zwei Wochen gehe ich zum Mentaltraining.» 

Eine Trainingseinheit dauert zwei bis drei Stunden, wie Tanja Schmid ausführt. «Pro Einheit mache ich vier Übungen», erzählt die hauptberufliche Primarschullehrerin. Sie beginnt mit den beiden Technikübungen, bei denen die Bewegungsabläufe vom «Reissen» und «Stossen» in einzelne Schritte zerlegt werden. «So kann man bei den Schwachstellen ansetzen – die Technik ist das A und O.» Anschliessend folgen zwei Übungen mit schweren Gewichten, wozu beispielsweise Deadlifts gehören. «Man macht drei- bis vier Wiederholungen und dann zwei bis drei Minuten Pause.» 

Stossen und Reissen: Tanja Schmid bestreitet diese Woche die EM im Gewichtheben. Die Limite in ihrer Kategorie (bis 64 Kilogramm) lag bei 190 Kilogramm. Bild: zVg.

Die Form stimmt

Insgesamt hat die Athletin bereits vierzehn nationale und sechs internationale Wettkämpfe bestritten, darunter drei Schweizer Meisterschaften. Der Start in die aktuelle Wettkampfsaison war sehr erfolgreich. «Schon beim ersten Wettkampf im Oktober spürte ich, was für eine Kraft plötzlich in mir steckt und dass die EM-Limite in dieser Saison drinliegt.» Dies gelang ihr dann sogleich in der ersten Liga-Runde der Saison im November in Staad, wo sie neben der Limite unglaubliche sieben Schweizer Rekorde knackte. «Seit diesem Zeitpunkt kommt mir alles surreal vor.» Nun, so kurz vor dem grossen Saisonhighlight, steigt die Anspannung natürlich. «Vor allem aber bin ich gespannt, was drin liegt.» Zu ihrem Hauptziel sagt die 33-Jährige: «Ich will mit Freude an diese EM gehen und auf der Bühne strahlen.» Wenn es sehr gut läuft, könnte sogar die WM-Limite möglich sein, die aktuell bei 197 Kilogramm liegt. 

Spezifische EM-Vorbereitung

Tanja Schmid startet in der Kategorie bis 64 Kilogramm. Das bedeutet, dass sie ihr Gewicht unter Kontrolle haben muss. «Durch die neuen Trainingspläne habe ich ziemlich an Muskelmasse zugenommen», so die 1,58-Meter grosse Athletin. Ihr Wohlfühlgewicht liege bei etwa 67 Kilogramm. «Im Gewichtheben ist es normal, dass man für den Wettkampf zwei bis drei Kilo abnimmt», führt sie aus. «Auch wenn das für mich definitiv zu den Schattenseiten des Sports gehört.» Sie selbst achtet sehr auf ihre Ernährung und vor allem darauf, dass sie zu allen Mahlzeiten genug Protein, Kohlenhydrate und Fett zu sich nimmt. 

Geniessen und «nichts denken»

Am Donnerstag, 15. Februar, ist Tanja Schmids grosser Wettkampftag. Um 13 Uhr (Schweizer Zeit) wird sie die Bühne im bulgarischen Sofia betreten (Livestream auf ewfsport.tv). Zwei Stunden vor dem Wettkampf geht es auf die Waage, anschliessend gibt man das gewünschte Startgewicht an. «Circa 30 bis 45 Minuten vorher beginne ich mit dem Aufwärmen», berichtet sie. «Da ist auch ein Trainer dabei, der auf die Technik schaut und dann der Jury das definitive Gewicht mitteilt.» Es ist zudem die Aufgabe des Trainers, nach jedem Versuch das nächste Gewicht anzugeben. Der Wettkampf beginnt mit dem Reissen, wobei die Heberin mit dem am niedrigsten gemeldeten Gewicht beginnt. «Man hat jeweils drei Versuche beim Reissen und drei beim Stossen», erklärt die Athletin weiter. 10 Frauen werden in ihrer Gruppe dabei sein. Zu den Favoriten gehören sicherlich die Sportlerinnen aus dem Osten. «Dort beginnen viele bereits als Kinder mit dem Gewichtheben. Ich vermute, die schaffen um die 220 Kilogramm.» 

Seit gestern Montag befindet sich Tanja Schmid in Bulgarien, wo sie sich auf ihr sportliches Highlight vorbereitet. Denn an Tag X heisst es für sie: an nichts denken. «Das ist eine sehr schwierige Aufgabe», gibt sie zu. Und zugleich ist es das, was sie am Gewichtheben am meisten fasziniert. «Ich finde es krass, was für ein schweres Gewicht ein Mensch bewegen kann, wenn man den Kopf ausschaltet und an nichts denkt.»

Lara Gansser, Schaffhausen24