Der Anstieg der zu behandelnden Tiere (+15 Wildvögel) ist zwar viel geringer als im Jahr zuvor und zeigt auf, dass sich eine gewisse Stabilität entwickeln könnte. Es sind aber weiterhin extreme Saisonalitäten zu beobachten. Zwischen Mai und August wurden 70 Prozent der Vögel abgegeben – allein im Juni waren es 221 Wildvögel, was eine durchschnittliche Aufnahmerate von sieben bis acht Vögeln pro Tag bedeutete.
Deren Untersuchung, Behandlung und Versorgung musste zusätzlich zur Versorgung und Fütterung der Patienten auf der Station und den täglichen Anrufen (von Mitte Mai bis Mitte Juli zwischen 10 und 30 Telefonaten pro Tag) erledigt werden. Ohne die freiwilligen Helfer und die Unterstützung von zusätzlichen Mitarbeitern des Walter Zoos wäre dieser Arbeitsaufwand in der Hauptsaison nicht zu bewältigen.
Verletzungen erneut Hauptgrund für Aufnahme
Von den 774 Vögeln waren 710 Singvögel (91,7 %), 29 Greifvögel (3,8 %) und 35 Wasservögel (4,5 %). 413 Singvögel (58,2 %) wurden wegen einer Verletzung eingeliefert. Etwas mehr als ein Viertel von den Singvögeln hatte mindestens einen gebrochenen Knochen, zwei Drittel hatten teils schwere Weichteilverletzungen (grössere Wunden).
Die Ursachen für viele dieser Verletzungen sind Angriffe durch Katzen, Hunde und andere Vögel (180 Tiere, 43,6 %) und Kollisionen mit Autos, Glasscheiben oder Gebäuden (139 Vögel, 33,7 %). Bei 22,8 % der Singvögel war die Ursache der Verletzung nicht ersichtlich oder nicht bekannt.
251 Tiere (35,4 %) waren verwaiste Jungvögel. Insgesamt waren 91 Singvögel (12,8 %) abgemagert, meist mit unbekannter Ursache. Parasiten spielten hier nur eine untergeordnete Rolle.
Beitrag für den Artenschutz
Im vergangenen Jahr wurden 62 verschiedene Vogelarten in der Wildvogelpflegestation St.Gallen gepflegt. Davon sind 12 Arten in der Schweiz potenziell gefährdet (Alpensegler, Grauschnäpper, Grünfink, Mauersegler, Mehlschwalbe, Neuntöter, Rauchschwalbe, Wendehals, Baumfalke, Turmfalke, Haubentaucher, Weissstorch), eine Art verletzlich (Waldschnepfe) und eine Art stark gefährdet (Lachmöwe).
Zudem sind zehn Arten (Alpensegler, Mauersegler, Mehlschwalbe, Wacholderdrossel, Waldschnepfe, Wendehals, Rotmilan, Turmfalke, Lachmöwe, Weissstorch) als prioritäre Arten für die Artenförderung in der Schweiz gelistet. Das heisst, dass diese Arten Förderungsmassnahmen dringend nötig haben und die Schweiz international eine besondere Verantwortung für sie trägt (Programm «Artenförderung Vögel Schweiz» vom Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz, der Schweizerischen Vogelwarte Sempach und dem Bundesamt für Umwelt BAFU).
Gefährdete Durchzügler
Es gibt aber auch Arten, die nicht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten der Schweiz aufgeführt sind, weil sie nicht als Brutvögel in der Schweiz gelistet sind. So zum Beispiel die zwei Bergfinken und der Waldrapp, die im letzten Jahr aufgenommen wurden. Der Bergfink, ein regelmässiger Durchzügler und häufiger Wintergast in der Schweiz, ist laut der Roten Liste der IUCN (Weltnaturschutzunion) zwar nicht gefährdet, aber im Bestand rückläufig.
Der Waldrapp ist laut der Roten Liste stark gefährdet und ein sehr seltener Vogel in der Schweiz, der lediglich aufgrund von Wiederansiedlungsprojekten in Österreich und Süddeutschland vereinzelt wieder beobachtet wird. Von dort stammt auch das Paar, welches 2023 erstmals seit dem 16. Jahrhundert wieder in der Schweiz (Rümlang) gebrütet hat und der Vogel, welcher in der Wildvogelpflegestation versorgt wurde.
Bildung und Aufklärung für nachhaltigen Arten- und Naturschutz
Um nachhaltig auch etwas für den Erhalt des Lebensraumes der einheimischen Wildvögel zu unternehmen, ist es wichtig, dass die Bevölkerung mit persönlichen und telefonischen Beratungsgesprächen über Massnahmen und Gefahren aufgeklärt wird. Im Jahr 2023 wurden von den Mitarbeitenden der Wildvogelpflegestation 1’868 Telefonate geführt, mehr als die Hälfte davon (60,7 %) von Mai bis Juli.
In 40,8 Prozent der Fälle wurde am Ende des Gesprächs vereinbart, dass der Vogel in die Station gebracht werden soll. Bei 28,7 Prozent der Beratungsgespräche wurden Fragen zur Versorgung verletzter Vögel vor Ort, zum Umgang mit Jungvögeln und zu Biologie und Verhaltensweisen der einheimischen Wildvögel beantwortet, aber auch Tipps zur Lebensraumgestaltung gegeben.