Das Coming-out einer queeren Person ist oftmals ein langwieriger Prozess. Nur schon, es für sich selbst zu akzeptieren, dass man anders ist als die Norm, bedarf einer innerlichen Auseinandersetzung, die sehr kräfteraubend sein kann. Um die sexuelle Orientierung dann auch noch nach aussen zu tragen, braucht es zusätzlichen Mut und verlangt viel ab, denn oft ist nicht abzuschätzen, welche Veränderungen oder Folgen ein Coming-out mit sich ziehen kann. Im Laufe der Generationen hat dabei ein Umdenken stattgefunden, wie verschiedene aktuelle Umfragen zeigen. Sprach man früher von der 5-10-Prozent-Quote der Homo- oder Bisexuellen, beschreiben sich mittlerweile rund 20 Prozent der Generation Z (ab 1997) als queer. Queer umfasst grundsätzlich jegliche Form ausserhalb der Heterosexualität. Das ist nicht etwa ein Modetrend, wie immer wieder behauptet wird, sondern bezeugt lediglich, dass die Hemmschwelle zum Coming-out gesunken ist und die jahrzehntelange Förderarbeit unzähliger Institutionen, um die geschlechtliche Vielfalt und die daraus sich entwickelnde Diversität gesellschaftsfähig zu machen. Nicht nur politisch und rechtlich, sondern auch durch die Förderung der Akzeptanz der allgemeinen Gesellschaft.
«Je vielfältiger, desto interessanter»
Auch in Schaffhausen werden Aktivitäten unternommen. Wohl erstmals sichtbar im Oktober 1993, als die Arbeitsgruppe «Leshomos» das «Homo Fäscht» organisierte und später mit weiteren Veranstaltungen aufwartete. Auch die AIDS-Hilfe war sehr aktiv, ehe sich seit 2008 der Verein Queerdom mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Seitens der städtischen Regierung wird die wachsende Diversität wohlwollend wahrgenommen, wie Stadtpräsident Peter Neukomm bestätigt: «Je vielfältiger die Stadt mit Diversität bereichert wird, umso interessanter wird sie, was ja auch meinem persönlichen Motto entspricht. Schaffhausen sollte nicht nur offen sein für Diversität, sondern diese auch leben» Doch er spricht auch die gesellschaftliche Seite an, die gerade durch den ESC-Sieg von Nemo neuen Aufwind erhalten hat. «Es muss solange darüber debattiert werden, bis die Diversität gesellschaftlich selbstverständlich ist. Da gibt es noch Luft nach oben.»
Ein ständiger Diskurs
Laut GLP-Kantonsrat Tim Bucher hat sich Homosexualität gesellschaftlich weitgehend etabliert, wie die hohe Zustimmung zur «Ehe für alle» in Schaffhausen, welche mit 61,8 Prozent angenommen wurde, zeigt. «Nun kommen jedoch zunehmend neue geschlechtliche Identitäten hinzu, die ebenfalls eine vollumfängliche Integration verdienen. Dafür müssen die Menschen jedoch zuerst Zugang dazu finden. Das ist verständlich, aber sobald ein Berührungspunkt zu queeren Menschen besteht, ist die Akzeptanz meist gegeben. Niemand, der im eigenen Umfeld queere Menschen hat, sieht darin etwas Verwerfliches. Im Gegenteil: Je weniger jemand mit Diversität in Berührung kommt, desto befremdlicher erscheint sie,» erklärt der 27-jährige Kantonsrat. Dem stimmt der neue Queerdom-Präsident Tobias Baumgartner zu. «Darum ist spätestens seit dem Stonewall-Aufstand 1969 ein ständiger Diskurs vonnöten. Dazu braucht es auch solche, die den Mut haben, öffentlich dafür einzustehen. Schon Harvey Milk sagte, man solle sich zeigen und sich nicht mehr verstecken.» Während den letzten 55 Jahren hat sich die Lebenssituation markant verbessert, auch politisch ist der Fortschritt sichtbar. Und doch finden sich Queers auch in unangenehmen Situationen wieder, wie der Queerdom-Präsident aufgrund Rückmeldungen aus der Community zum Beispiel gibt: «Am Bahnhof fühlen sich viele unwohl, weil sie das Gefühl vermittelt erhalten, angestarrt oder dumm angemacht zu werden». Dafür schätzen sie die Hotspots in der Altstadt umso mehr, wo sie sich willkommen fühlen.
Workshop geplant
«Ich wünsche mir im politischen Ausblick, dass die Verfassung das dritte Geschlecht annimmt und alle Geschlechtsformen anerkannt werden», erhofft sich Tobias Baumgartner. Um der Diskussion zu entgehen, wie viele Geschlechter es denn gebe, könne sich Tim Bucher gar vorstellen, das rechtliche Geschlecht vielleicht ganz abzuschaffen. Gesellschaftliche Fortschritte will Tobias Baumgartner erzielen, indem Queerdom mit mehr Öffentlichkeitsarbeit noch mehr Sichtbarkeit erzeugt und möglichst viele Menschen erreicht. «Um das Wohl der queeren Gesellschaft nachhaltig und hürdenfrei zu sichern, sind wir darauf angewiesen, dass wir uns von politischer Seite aktiv unterstützt fühlen, indem Debatten über aufkommende Themen geführt werden. Angedacht sei dabei in einem ersten Schritt ein Workshop zusammen den Tim Bucher mit dem Verein organisieren will, um die queeren Anliegen aufzunehmen und auf Papier zu bringen.