Seit wann begleiten Sie das Thursanierungsprojekt in Wattwil?
Im Jahr 2008 wurde ich vom Gemeinderat als externer, neutraler Fachmann beigezogen. Seither begleite ich diese Arbeiten und eine interessante Projektentwicklung.
Welchen Bezug resp. welche Erfahrungen haben Sie zu Wasserbauprojekten an der Thur?
Seit 1999 bearbeite ich in verschiedenen Funktionen Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekte an der Thur.
Was ist Ihre Aufgabe innerhalb des Projektes und im Auftrag der Gemeinde?
Die Aufgabe ist, die Gemeinde Wattwil mit spezifischem, wasserbaulichem Fachwissen zu unterstützen. Die Ausgangslage ist angesichts der örtlichen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen sehr komplex. Das Projekt ist wie ein fein verzahntes Räderwerk: Schraubt man an einem Ort, passiert etwas am anderen Ende.
Worin bestehen die Herausforderungen des Projekts?
Es ist wie bei einem uralten Auto, das ersetzt werden muss. Die heutige, über 100 Jahre alte Flussverbauung ist kaputt. Das Gerinne muss ohnehin instand gestellt werden. Das neue Werk muss auf dem heutigen Stand der Technik sein und die aktuellen gesetzlichen Bedingungen erfüllen. Die erneuerte Thur braucht mehr Platz. Diesen Platz kann man nicht herbeizaubern, der Korridor ist gegeben. Die Arbeiten sind sehr aufwändig und daher teuer, und man sieht den Nutzen nicht direkt.
Gab es Erkenntnisse der geprüften Idee einer Rückhaltung?
Das Ergebnis der Untersuchungen ist: Mit Retentionsbecken könnten die Hochwasserspitzen verkleinert werden. Der Effekt ist jedoch nicht genügend gross, sodass die Abflusskapazität der Thur dennoch vergrössert werden muss. Das Ganze wäre mit grossen baulichen Eingriffen verbunden und würde das Projekt noch teurer machen. Der erhoffte Nutzen kann mit einem Retentionsbecken leider nicht erzielt werden.
Warum braucht die Thur mehr Platz und muss die Flusssohle verbreitert werden?
Jeder Fluss hat seine eigene Form. Die Thur in Wattwil ist von Natur aus breiter als sie das heute ist. Weil sie den nötigen Platz vor 100 Jahren nicht bekommen hat, frisst sie sich seither in den Untergrund ein. Das zerstört die Verbauungen und beeinträchtigt das Grundwasser. Sie ist nicht hochwassersicher. Ihr ökologischer Zustand ist als «stark beeinträchtigt» klassiert. Gibt man der Thur mehr Breite, können alle diese Probleme gelöst werden.
Sind Auswirkungen auf die Allee damit unumgänglich und verstehen Sie die damit verbundenen Bedenken?
Klar versteht man die Bedenken. Niemand will leichtfertig den Baumbestand angreifen. Eine Redewendung sagt aber: «Man kann den Bären nicht waschen, ohne das Fell nass zu machen.» Die heutige schöne Allee wird leider tangiert. Auf beharrliches Insistieren der Wattwiler Bevölkerung und Behörden ist immerhin alles getan worden, um einen möglichst grossen Teil dieser Allee zu erhalten. Wo Bäume weichen müssen, werden neue Bäume gesetzt, so wie das heute schon im Rahmen der Pflegemassnahmen passiert. So werden auch unsere Kinder eine durchgängige, schöne Allee mit grossen Bäumen antreffen.
Können Sie ein Fazit ziehen zum Projektstand und -verlauf aus Sicht der Gemeinde?
Voraussichtlich im nächsten Jahr wird ein Auflageprojekt vorliegen. Dieses Projekt ist in einem intensiven und zähen Ringen zwischen der kantonalen Bauherrschaft und den Gemeindevertretern entstanden. Viele Verbesserungen sind auch durch die Mitwirkung von Betroffenen und der Bevölkerung in das Projekt eingeflossen. Der Prozess hat lange gedauert, und er lief nicht ohne Spannungen ab. Heute – bzw. nach Abschluss der 5. Projektüberarbeitung – kann die Gemeinde mit dem Resultat aus meiner Sicht sehr zufrieden sein.
Worin sehen Sie die Chancen der Thursanierung für Bevölkerung und Gemeinde?
Wattwil bekommt eine neue Thur, die hoffentlich wieder 100 Jahre hält. Die Hochwassersicherheit wird verbessert. Infrastrukturen (z. B. Kanalisationsleitungen) werden ersetzt. Diese sind dann neu und müssen nicht so schnell wieder ersetzt oder repariert werden. Das Werk scheint teuer. Man muss allerdings bedenken: Es sind rund fünf Kilometer Flussbau und das in weiten Teilen durch das Dorf. Der Kostenanteil, den die Gemeinde voraussichtlich übernehmen muss, ist jedoch verhältnismässig tief. Die verbreiterte Thur ist natürlicher und schöner. Es gibt für Menschen Zugänge zum Wasser und Ruheplätze. Brücken verbinden die beiden Dorfteile links und rechts der Thur besser als bisher. Die Thur wird vermehrt zum Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Das Dorf wird sicherer und schöner.