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Kultur
05.07.2024

Das «Ländlein» Appenzell

Der Statthalter von Appenzell bittet um rechtliche Hilfe bei einem Tötungsdelikt .
Der Statthalter von Appenzell bittet um rechtliche Hilfe bei einem Tötungsdelikt . Bild: StadtASG Missvie 91
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst. Heute: Die Beziehung zwischen der Stadt St.Gallen und dem Appenzellerland.

Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor.

Das Appenzellerland stand im 15. Jahrhunderts mit der Stadt St.Gallen in einer engen Beziehung, in der sie sich gegenseitigen Rechtsbeistand und Rechtshilfe zusicherten. Trotz Nähe kam es aber auch zu Konflikten. Differenzen zwischen den Bündnispartnern sollten aber nur im geregelten Schiedsverfahren bereinigt werden.

Ursprung ihrer Freundschaft waren unter anderem die Appenzeller Kriege in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, bei denen sie sich gemeinsam gegen ihre Herrschaft, die Fürstabtei St.Gallen, auflehnten und ihre Freiheit erlangten. Ihre Nähe in Rechtsfragen lässt sich in der Briefkommunikation zwischen dem Land Appenzell und der Stadt St.Gallen deutlich nachzeichnen.

Ein Mordfall während politischer Unruhen

Im April des Jahres 1437 bat der Appenzeller Statthalter die St.Galler, ihn bei der Aufklärung des Totschlags des Ammanns Ulrich Häch zu unterstützen. Dem Tötungsdelikt gingen innere politische Unruhen im Zusammenhang mit dem Kloster St.Gallen und den Appenzeller Kriegen voraus. Die Eidgenossenschaft als Schutzherrin von Appenzell handelte mit der Fürstabtei St.Gallen einen Kompromiss – den Schiedsspruch von 1421 – aus.

Als sich am Ende der Kriege 1429 Appenzell dem eidgenössischen Schiedsspruch unterwarf, beschuldigten, der zuvor abgesetzte und aufrührerische Appenzeller Alt-Ammann Walter Koppenhan und sein Vertrauter Ulrich Himmeli, den amtierenden Ammann Häch, er habe bei den Verhandlungen vorschnell dem Schiedsspruch zugestimmt und damit Appenzell verraten.

Sie starteten eine regelrechte Verleumdungskampagne und beschuldigten Häch gar, er habe sich bestechen lassen. Da man Häch jedoch von den Anschuldigungen freisprach, wurde nun nachweisbar Himmeli der Verleumdung angeklagt, der jedoch mehrmals nicht vor Gericht erschien. Himmeli beendete die Fehde, als er seinen Gegner Ulrich Häch auf dem Weg von Appenzell nach Hundwil ermorden liess und aus dem Land floh.

Appenzell, der Hauptflecken des Landes, Holzschnitt aus der Chronik von Johannes Stumpf 1548 über die Eidgenössischen Ortschaften. Bild: StadtASG AA 680a, Fol. 89r

St.Gallen eilt zur Hilfe

Der Statthalter von Appenzell bittet nun die St.Galler in der Missive, sie sollen ihren Boten Konrad Utz, Zeuge des Verbrechens, befragen und herausfinden, wer die Komplizen Himmelis gewesen seien.

Erst im Januar des nächsten Jahres wurden Himmeli und Koppenhan bei dessen Sohn in Überlingen gesichtet und die Appenzeller baten die St.Galler erneut in einem Brief um Unterstützung. Sie wünschten sich eine sofortige Reaktion, um mit Hilfe St.Gallens die beiden Verdächtigen zu fassen. St.Gallen zitierte daraufhin Himmeli vor das Gericht und verhängte über ihn, als er wieder nicht erschien, die Acht.

Gefasst und verurteilt wurden die Beiden jedoch nie. Dank der Unterstützung der Stadt Überlingen und den Wirren der weiteren Kriegsjahre wurde die Fehde nicht fortgeführt. Der Rat von Überlingen erklärte Walter Koppenhan bereits ein Jahr später, 1439, zum ehrbaren Bürger ihrer Stadt, und als Appnezell 1449 die Untersuchungen gegen den Mörder Ulrich Himmeli wieder aufnahm, war dieser bereits verstorben.

Gegenseitige Hilfe

Das Beispiel dieser regen Kommunikation zeigt sich, dass Appenzell und die Stadt St.Gallen im Alltag eine sehr enge und mehrheitlich freundschaftliche Beziehung pflegten. Davon zeugen nicht nur die Missiven, sondern auch rechtliche Verträge. In einer Urkunde vom 21. Mai 1437, kurz nach dem Tötungsdelikt, sicherten sich St.Gallen und Appenzell offiziell die gegenseitige Unterstützung zu. Sie verbanden sich zu Frieden und Nutzen beider.

Beurkundete Bündnisse zum Zweck der gegenseitigen rechtlichen und wirtschaftlichen Hilfe zwischen dem Land Appenzell, der Stadt St.Gallen und anderen bestanden schon seit dem 14. Jahrhundert. Am 26. September 1377 verbündeten sich die Landleute von Appenzell, Hundwil, Urnäsch, Gais und Teufen mit 15 schwäbischen Reichsstädten, darunter St.Gallen.

Diese «Ländlein», wie es in der Originalsprache heisst, waren die einzigen Bündnispartner, die nicht Städte waren. Dabei standen die nahe Stadt St.Gallen und Konstanz Pate. Die beiden Urkunden werden im Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen aufbewahrt.

Bild: zVg

Die Bündnisse zwischen Städten und Ländern der Bodenseeregion des Mittelalters erleben im 21. Jahrhundert ein Revival. 2009 wurde der Städtebund Bodensee gegründet. Dieser versteht sich als die gemeinsame Interessenvertretung der Kommunen in der Internationalen Bodenseeregion, um Themen über die Ländergrenzen hinweg abzustimmen und besser umzusetzen (www.staedtebund-bodensee.org). Dieselben Ziele verfolgte auch der mittelalterliche Schwäbische Städtebund, dem das Land Appenzell und die Stadt St.Gallen angehörten.

Die erwähnte Missive Nr. 91 ist abrufbar unter: https://missiven.stadtarchiv.ch/data/stasg_missiv_00091.xml

Literatur

  • Guggenheimer, Dorothee: Die Beziehung zwischen Appenzell und der Stadt St.Gallen in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: IGfr. 2022, S. 48–67. (Artikel als PDF-Dokument)
  • Sonderegger, Stefan: Die Vorgeschichte der Appenzeller Kriege 1403 und 1405. Zur Rolle der Städte und ihrer Bündnisse, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 122, 2004, S. 23–35. (Artikel als PDF-Dokument)
Alina Mächler / toggenburg24