Das Ausflugrestaurant Waldegg oberhalb von Teufen ist Appenzeller Idylle pur. Niemand käme auf die Idee, dass in der Beiz Menschenfleisch gegessen worden sei. Oder am Ende der Rutschbahn eine Leiche vergraben sein könnte. Ausser den Zwillingstöchtern des Wirte-Ehepaars Dörig.
Man könnte diese Gruselstory nun einfach als das abtun, was sie erwiesenermassen ist: ein Hirngespinst. Hätte sie nicht ganz real ihre Opfer gefordert. Und über Jahre Polizei und Justiz beschäftigt, berichtet SRF.
Angefangen hat der Horror im Zuge einer Psychotherapie. Bettina, eine der beiden Zwillingsschwestern, nahm sie Ende November 2019 in Angriff. Die behandelnde Psychologin stellte bereits zu Therapiebeginn eine schwerwiegende Diagnose für ihre Patientin: «Unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben sowie des Psychostatus zeigt sich das Bild einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-11.»
Nur acht Wochen später zeigte die junge Frau ihren Vater bei der Kantonspolizei wegen sexuellen Missbrauchs in acht Fällen an.
Nicht nur sie, auch ihre Zwillingsschwester, die anderen beiden Schwestern sowie die Enkelin hätten Übergriffe erlebt. Die Ursache für Bettinas Trauma schien gefunden.
«Es war, als hätte mir jemand mit dem Metallhammer auf den Kopf geschlagen», sagt Vater Niklaus «Chläus» Dörig, der Wirt, zu SRF. «Es hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen.»
Bettina behauptete zudem, ihre Mutter Anita sei jeweils dabei gewesen, habe alles gewusst. «Das ist solch ein ungeheuerlicher Vorwurf, als wär ich ein Monster. Ich hätte meinen Mann sofort verlassen, wenn so etwas jemals vorgefallen wäre», sagt die Wirtin.
Vater, Mutter, die weiteren Geschwister und der Schwiegersohn wurden stundenlang einvernommen, die Eltern mussten alle möglichen Fragen zu ihrem Sexualleben beantworten.
Alle dementierten die unterstellten Vorkommnisse, auch Belinda, die Zwillingsschwester von Bettina, die laut Anzeige ebenfalls ein Opfer gewesen sein soll.
Zuerst habe sie der Schwester geglaubt, was sie jetzt bereue, sagte Belinda bei der Polizei aus. Es müsse sich um falsche Erinnerungen handeln, die durch Bettinas Psychotherapie hervorgerufen worden seien, gab sie damals zu Protokoll: «Die Vorwürfe sind absurd.»
Mit der Aussage gegen ihre Schwester erlitt die symbiotische Beziehung der beiden Zwillinge einen tiefen Bruch, so SRF weiter.
Ein Dreivierteljahr später wollte die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen, die Untersuchungen hatten nichts zutage gebracht. Bettinas Anwältin wehrte sich jedoch dagegen, es folgten weitere Einvernahmen und Ermittlungen. Und schliesslich eine Anklage beim Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden.
Belinda hatte sich in der Zwischenzeit ihrer Schwester wieder angenähert – und ihren Ehemann und ihre drei Kinder verlassen. Wenige Tage vor der Verhandlung zog sie ihre Aussagen zurück. Sie habe damals bei der Polizei gelogen.
Vater Chläus wurde aber am 15. September 2021 in allen Punkten freigesprochen.
Damit gaben sich die Zwillinge nicht zufrieden: Sie verfassten einen handgeschriebenen Brief, den sie an Familienangehörige, Nachbarn und Bekannte verteilten. Darin behaupteten sie, schon ihr Grossvater habe seine Tochter vergewaltigt und mit ihr das behinderte «Inzestkind» Jakob gezeugt.
Er habe es dann, als es zwei Jahre alt war, mit einem Taschentuch erstickt und unter einer Linde vergraben. Zudem hätten die Grosseltern Flüchtlingskinder im Keller verhungern lassen. Dann folgen detaillierte Schilderungen der angeblichen Vergewaltigungen durch ihren Vater.