«Das Prestige des Amtes und die politische Bedeutung der Gemeindeparlamente haben abgenommen»: Diese Schlussfolgerung zog der Rorschacher Politologe und frühere SP-Kantonsrat Silvano Möckli anlässlich einer Zwischenbilanz des Stadtparlaments im Juni 2022.
Damals hatten sich bereits 17 im September 2020 gewählte Mitglieder wieder aus dem Rat verabschiedet.
Inzwischen kamen weitere Rücktritte dazu. Rund ein Drittel der Ratsmitglieder haben ihr Mandat also vorzeitig aufgegeben. Man mag das bedauern. Die Gründe sind je nach persönlicher Situation unterschiedlich.
Aber mit jedem Rücktritt gehen auch Erfahrung, Kompetenz und Netzwerk verloren. Es zeigt, dass Gemeindeparlamente längst den Stellenwert von einst verloren haben. Wer kennt schon die 63 Mitglieder des Rates? Who cares. Bei diesem Kommen und Gehen.
Der Bedeutungsverlust kommunaler Parlamente geht natürlich tiefer.
Das Parlament ist gegenüber Stadtrat und Verwaltung in einer schwächeren Position. Zu oft werden Vorlagen relativ unkritisch begleitet und es fehlt an der nötigen Sachkenntnis, aber auch an der nötigen Distanz zu den eigenen Stadträten.
Bei der Pleiten-, Pech- und Pannenserie städtischer Projekte (Spitex, Busdepot u. a. m.) hätte es doch deutlich klarere Worte gebraucht.
Als Bürgerin und Bürger kommt man sich verschaukelt vor, wenn man sieht, wie hier Millionen Steuergelder allein durch Fehlplanungen und schlicht überforderte Behörden in den Sand gesetzt wurden.
Und bei der Bibliothek bahnt sich eine nächste Fallgrube an, wenn nicht rechtzeitig die Weichen gestellt werden.
Trotz dieser latenten Unzufriedenheit mit der städtischen Exekutive: An der Ausgangslage für die Gemeindewahlen ändert sich wenig bis nichts. Die Fronten bleiben unverändert. Linksgrün wird mit relativer Gelassenheit die Geschicke St.Gallens weiterhin bestimmen und den Ton angeben.
Die Bürgerlichen sorgen höchstens für Zwischentöne und etwas Sand im Getriebe.
So gesehen versprechen die Wahlen wenig Spannung.
Nimmt man als Basis für eine Prognose die Parteienstärken der Kantonsratswahlen vom März, so zeigt sich klar: Die SP bleibt in der Stadt mit 30,7 % Prozent Stimmenanteil Leaderin. Mit 15,3 % Stimmenanteil wurde die SVP die zweitstärkste Kraft. Relativ nah zusammen liegen FDP (14,4 %) und Mitte (12,7 %) und die GLP (12,1 %). Die Grünen (9,9 %) sind nur noch auf Platz 6.
Prozentzahlen allein sind noch keine Mandate. Aber man kann gewisse Trends ablesen.
Würde man die Kantonsratswahlen auf die Stadt übertragen, so könnte die SVP zulegen, allerdings wohl auf Kosten der Mitte und der FDP.
Unterm Strich ergäben sich so aber keine grossen Verschiebungen im bürgerlichen Block. Was sich schon bei den nationalen Wahlen im Herbst 23 abzeichnete, gilt auch auf kommunaler Ebene. Von den Verlusten der Grünen profitierte die SP. Also auch hier keine markanten Veränderungen im linken Lager.
Sprechen wir von den Inhalten. Linksgrün thematisiert Klima, gleiche Rechte für alle, kostenlose Mittagstische und öffentlich finanzierte Kinderbetreuung. Dezidiert abgelehnt wird der Autobahnausbau/Anschluss Güterbahnhof.
Die FDP bringt den Slogan «Wir entwickeln unsere Stadt.» Steuern senken und die Attraktivität steigern, lautet ihr Rezept. Die SVP setzt auf Sicherheit, Gewerbe/KMU und Verkehr und die Mitte «hält die Region zusammen». Im Kern die Aussage aus dem Parteiprogramm «Freiheit und Selbstverantwortung.»
Gemeindewahlen sind keine Gassenfeger. Es ist schon anspruchsvoll genug, sich mit 384 Köpfen auf 15 Listen zu beschäftigen. Im September 2020 bemühten sich nur 37,3 Prozent an die Urnen.
Im Sog der eidgenössischen Vorlagen könnte dieses Mal deshalb hauptsächlich Linksgrün profitieren.
Sowohl die BVG-Reform (Nein) als auch die Biodiversitätsinitiative (Ja) sind Kernthemen von SP/Gewerkschaften und Grünen und mobilisieren.
Wie immer das neue St. Galler Parlament auch zusammengesetzt sein wird: Nötig ist mehr kritische Distanz gegenüber Stadtrat und Verwaltung mit dem Ziel, all die offenen Baustellen endlich zügig anzugehen. St.Gallen hat in den vergangenen Jahren auch im Vergleich zu anderen Städten zu wenig erreicht. Der Leistungsausweis ist bescheiden.
Das Parlament sollte sich auch selbst disziplinieren und sich mit parlamentarischen Vorstössen zurückhalten.
Vieles dient mehr der eigenen Profilierung als der Sache und könnte auf dem kleinen Dienstweg mit einem Telefon oder einer Recherche bei der zuständigen Amtsstelle erledigt werden.
Ob links oder rechts ist eigentlich nicht so entscheidend. Wichtig ist ein Ringen um Lösungen. Wer die besten Argumente hat, soll gewinnen. Und bei Bedarf soll auch das Volk via Referendum das letzte Wort haben.
«Wir formen eine Stadt als urbanes Zentrum, welche Gemeinsamkeiten stärkt, eine Stadt, die solidarisch hilft, wenn die Eigenverantwortung an Grenzen stösst. Wir treffen Entscheide für eine wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung der Stadt St.Gallen als Zentrum der Bodenseeregion und Ostschweiz.» Mit diesem Wahlspruch steigt die Mitte in die Wahlen. Und dem könnten im Grundsatz wohl alle Parteien zustimmen.
Wie immer die Wahlen am 22. September ausgehen: St.Gallen braucht mehr Schwung und Dynamik.
Das Parlament muss vermehrt selbst Akzente setzen, eine aktivere Rolle spielen und sich konstruktiv zum Wohle der Stadt einbringen.
Damit St.Gallen nicht zur Schlafstadt wird und vor sich hindämmert und die Entwicklung verpasst.