Der 1. Sessionstag - 16. September 2024:
Die Ladenöffnungszeiten bewegen die Gemüter
Die Kantonsrätinnen und Kantonsräte wurden von einer Delegation der Gewerkschaft Syna empfangen, die gegen die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten protestierte, ein Geschäft, das bereits im Vorfeld der Session kontrovers diskutiert worden war.
Die Fronten waren eigentlich bereits vor der Debatte im Rat klar. SP und Grüne widersetzten sich jeglicher Liberalisierung; SVP, FDP und GLP begrüssten die Möglichkeit für Ladenbesitzer, die Öffnungszeiten bedarfsgerecht gestalten zu können. Die Mitte war gespalten.
Es standen vier Varianten zu Diskussion:
- Nichts tun und die Ladenöffnungszeiten bleiben bestehen wie bisher (Montag bis Freitag von 06.00 bis 19.00 Uhr, am Samstag sowie am Vortag von Karfreitag, Weihnachtstag und Neujahr von 06:00 bis 17:00 Uhr).
- Die vorberatende Kommission sah Öffnungszeiten von 05:00 h bis 22:00 h.
- Die FDP schlug eine vollkommende Liberalisierung ohne Festschreibung von Öffnungszeiten vor.
- Die Regierung möchte die Ladenöffnungszeiten von 06:00 h bis 20:00 h von Montag bis Freitag und am Samstag bis 18:00 h erweitern.
Basis der Diskussion war die Tatsache, dass jeder Geschäftsbesitzer eigenständig seine Ladenöffnungszeiten im gesetzlich festgelegten Rahmen definieren kann. Es besteht kein Zwang, die Öffnungszeiten zu verlängern, wenn dies ökonomisch keinen Sinn macht. Zudem gilt nach wie vor das Arbeitsgesetz, d.h. die Arbeitnehmenden werden nicht grundsätzlich schlechter gestellt.
Die Regierung selbst stellt fest, dass der Kanton St. Gallen im Vergleich zu den Nachbarkantonen sehr restriktiv ist. Wer beispielsweise am Samstagabend in Rickenbach TG auf dem überfüllten Parkplatz des Einkaufszentrums steht, findet fast ausschliesslich Autos mit St. Galler Nummernschildern. Es ist deshalb falsch zu behaupten, dass längere Ladenöffnungszeiten keinem Bedürfnis entsprechen.
Die meisten Arbeitgeber setzen sich dafür ein, Arbeitszeitmodelle zu gestalten, die den vielfältigen Lebens- und Familienmodellen der Beschäftigten gerecht werden. Diese Entwicklung ist ein bedeutender Fortschritt zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Damit einhergehend sollte auch eine Liberalisierung der Öffnungszeiten im Handel ermöglicht werden. Die derzeit restriktiven Regelungen können als unnötige Bevormundung der Arbeitnehmenden gesehen werden.
Regierungsrat Tinner bestätigt, dass der Kanton St. Gallen in dieser Frage im Vergleich zu anderen Kantonen im Rückstand ist und dass der Antrag der Regierung angesichts der zahlreichen Bedenken der Gegner einen Mittelweg darstellt. Schlussendlich wird klar auf die Vorlage eingetreten. Der Rat entschied schlussendlich zugunsten der vorberatenden Kommission, d.h. für Öffnungszeiten von 05:00 h bis 22:00 h. Das Referendum seitens der Gewerkschaften ist wahrscheinlich.
Nach intensiven Diskussionen folgt gleich ein nächstes «heisses» Eisen. Nachdem die St. Galler Spitäler von vier Spitalverbunden zu einem Spitalverbund neu strukturiert wurden, soll der Spitalverbund in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden.
Als Aktiengesellschaft erhält der Spitalverbund die nötige Flexibilität, um das medizinische Angebot spezifisch auf die Bedürfnisse des Marktes, also der Patientinnen und Patienten, auszurichten. Die Gründung einer Aktiengesellschaft ermöglicht diesen unternehmerischen Spielraum. Ziel ist nicht die Gewinnerzielung, sondern die bestmögliche Gesundheitsversorgung. Dies setzen eine enge Zusammenarbeit und echte Mitbestimmung aller Akteure im Krankenhaus voraus. Fachärzte und Pflegende müssen in wichtige Entscheidungen einbezogen werden - betriebswirtschaftliches Know-how allein reicht nicht aus, es braucht auch fundierte medizinische Expertise. Dies sah auch die Mehrheit des Rates so und stimmte der Umwandlung in eine AG zu.
Der Zeitpunkt gab jedoch zu Diskussionen Anlass. Die Regierung beantragte die Bildung einer AG erst bis 2033, die Motion sah eine Umsetzung bis 2030 vor. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass mit den Spitalschliessungen, dem Stellenabbau, den grossen baulichen Veränderungen in St. Gallen und Grabs sowie der Zusammenführung der vier Spitalverbünde viel Managementkapazität gebunden sei und die Organisation deshalb eine Atempause brauche. Eine nachvollziehbare Argumentation, die leider von der Ratsmehrheit nicht geteilt wurde.
Zu fortgeschrittener Stunde wurde die Motion überwiesen, die vorsieht, dass Steuererhöhungen künftig nur mit einer qualifizierten Mehrheit von 61 Stimmen beschlossen werden dürfen, während für Steuersenkungen eine einfache Mehrheit ausreicht. Die Fraktion der SP-Grüne-GLP lehnte diese Motion ab. Diese zeugt aus unserer Sicht von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Kantonsrats. Sie unterstellt, dass der Rat leichtfertig Steuererhöhungen beschliessen könnte und daher eine höhere Hürde nötig sei, um dies zu verhindern. Auch aus finanzpolitischer Sicht macht diese Ungleichbehandlung von Steuersenkungen- und -erhöhungen keinen Sinn. Steuersenkungen können genauso problematisch sein und den Staat in seinen Aufgaben einschränken, wie Steuererhöhungen. Beides erfordert eine sorgfältige Einzelfallprüfung. Die Ratsmehrheit hat jedoch anders entschieden.
Pünktlich um 18:00 h konnte die Ratspräsidentin Barbara Dürr den ersten Sitzungstag abschliessen. Am Dienstag wird der emotionale Level hoch bleiben. Es geht um den innerkantonalen Finanzausgleich und damit auch um die finanzielle Situation des Kantonshauptortes.