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St. Gallen
19.09.2024

Strategie der «Frühen Förderung» ergänzen

Es gilt Sprachdefizite früh zu erkennen. (Symbolbild)
Es gilt Sprachdefizite früh zu erkennen. (Symbolbild)
Um die Chancengleichheit in der Bildung zu gewährleisten, fordert die SP-GRÜNE-GLP-Fraktion mit einem Standesbegehren, die Strategie der Frühen Förderung durch einen zusätzlichen, vorgezogenen ärztlichen Kontrolluntersuch zu ergänzen.

Indem beispielsweise eine logopädische Einschätzung bereits vor dem Kindergarten erfolgt, kann ein allfälliges Sprachdefizit frühzeitig angegangen und aufgeholt werden.

Die Bedeutung der Frühen Förderung ist unbestritten, damit die Kinder einen optimalen Start in das lebenslange Lernen bekommen und die Chancengerechtigkeit in der Bildung gewährleistet werden kann. Die kantonale Strategie der «Frühen Förderung 2021 - 2026» hat unter anderem zum Ziel, die Heterogenität der Kinder bereits im frühen Alter zu erfassen, Entwicklungsdefizite zu identifizieren und mit entsprechenden Massnahmen abzufedern. Dies erleichtert nicht nur den Eintritt in das Schulsystem, sondern senkt auch die Kosten späterer Massnahmen signifikant.

Handlungsbedarf im Kanton St. Gallen

Der Gesamtbericht «Erledigung parlamentarische Aufträge im Bereich der frühen Förderung (EPAFF)»gibt, dokumentiert durch die Berichte der OST und INFRAS, einen guten Überblick über den aktuellen Stand wie auch über den Stand anderer Kantone im Bereich der Frühen Förderung. Er zeigt aber auch, dass Handlungsbedarf angezeigt ist und die Umsetzung realisiert werden muss. Aufgrund des Berichtes INFRAS präsentiert sich die Ausgangslage des Kantons St.Gallen eher ernüchternd. In unserem Kanton bewegen sich die Ausgaben für Frühe Förderung in der unteren Hälfte der Vergleichskantone. 17.5 % der Kinder zwischen null und vier Jahre sprechen beispielsweise nicht als Hauptsprache Deutsch. Somit ist nach unserer Einschätzung ein Sprachförderungsbedarf ausgewiesen. Falls nicht vorschulisch gezielte Förderprogramme eingesetzt werden, sehen sich die Schulträger während dem ersten Schuljahr mit Folgekosten konfrontiert und die Entwicklung der Schüler:innen verzögert sich massgeblich. Der Start ins lebenslange Lernen ist erheblich eingeschränkt und Defizite können zum Teil nicht mehr aufgeholt werden.

Beispiel

Wird ein Kind erst ab vier Jahren (normalerweise im Kindergarten) logopädisch eingeschätzt, kommt eine Fachabklärung erst im zweiten Kindergarten oder oft noch später zustande. Das Sprachdefizit in diesem Alter noch aufzuholen, ist für das Kind fast unmöglich. Bleibt das Defizit in der ersten oder zweiten Klasse bestehen, wird das Kind es nie mehr aufholen können und wird sprachlich ein Leben lang benachteiligt sein. Dies beweisen Studien schon seit langem. Wer also langfristig Kosten reduzieren will, macht Frühe Förderung eben auch «früh».

Früherkennung und Verbindlichkeit

Die Handlungsmöglichkeiten und das Fazit von INFRAS zeigen ein klares Bild, es benötigt Früherkennung und Verbindlichkeit. Denn, so haben die Berichte/Strategien der Regierung der letzten Jahre zum Thema Frühe Förderung auch gezeigt, es existiert im Kanton, aber vor allem auf der Ebene der Gemeinden, eine Vielzahl hochwertiger und bedürfnisorientierter Angebote. Um diese Angebote besser an die Zielgruppen zu bringen, eignen sich insbesondere die von der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie empfohlenen Kontrolluntersuchungen bei den Kinderärzt:innen.

Kontrolluntersuchungen für Kinder sind bisher – obwohl empfohlen – freiwillig. Die Verordnung über den Schularztdienst im Kanton St.Gallen schreibt vor, dass jede:r Schüler:in während der obligatorischen Schulzeit dreimal durch einen Arzt untersucht werden muss, nämlich am Ende der Kindergartenzeit, in der 5. Klasse und beim Schulaustritt. Es sind also erst nach der Einschulung drei obligatorische Pflichtuntersuche vorgesehen. Gemäss den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie bzw. der darauf gestützten Checklisten Vorsorgeuntersuchungen (Stand 2017) sind bis zum Alter von 14 Jahren 15 Vorsorgeuntersuchungen für Kinder vorgesehen, darunter auch eine Vorsorgeuntersuchung im Alter von drei Jahren. In der Antwort der Regierung auf die Interpellation 51.20.81 erläutert sie, dass die Disziplin der Eltern bei kinderärztlichen Kontrolluntersuchungen mit steigendem Alter der Kinder schnell abnimmt, was Vorsorgeunter-suchungen betrifft. Vom Zwei-Jahres-Untersuch bis zur nächsten Vorsorgeuntersuchung im Kindergarten entsteht daher eine grosse Lücke.

Sprachentwicklung und soziale Fähigkeiten evaluieren 

Der auf die ärztlichen Untersuchungen anwendbare Tarif Tarmed sieht eine Vorsorgeuntersuchung bei Kindern zwar im Alter von 24 Monaten vor, danach aber erst wieder im Alter von vier bis fünf Jahren, also erst wieder im Kindergarten. Dazwischen liegt ein Zeitraum von zwei Jahren, der ausschlaggebend für das Erkennen von Förderbedarf ist, jedoch keinen obligatorischen Arzttermin vorsieht. Gerade in diesem Zeitraum kann die Entwicklung des Kindes noch besser evaluiert werden als mit zwei Jahren. Namentlich die Sprachentwicklung und die sozialen Fähigkeiten können im Alter von drei Jahren erstmals aussagekräftig abgeschätzt werden. Einem allfälligen Rückstand oder Fehlentwicklungen in diesen für den Eintritt in den Kindergarten grundlegenden Fähigkeiten kann dann zu einem günstigen, frühen Zeitpunkt und zielgerichtet begegnet werden (z. B. Logopädie, heilpädagogische Frühförderung).

Anpassung des Bundesrechts

Da die ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen über den Leistungskatalog der Krankenversicherung definiert und damit finanziert werden, sieht die Regierung aber keine Möglichkeit, eine zusätzliche obligatorische ärztliche Vorsorgeuntersuchung einzuführen oder den bestehenden in die Zeit vor der Schulpflicht vorzuziehen. Es braucht dementsprechend eine Anpassung des Bundesrechts, welche mit dem vorliegenden Standesbegehren in Gang gesetzt werden kann.

Das Präsidium wird eingeladen, bei der Bundesversammlung eine Standesinitiative mit folgendem Inhalt einzureichen:

Der Kantonsrat lädt die Bundesversammlung ein, den Bundesrat einzuladen, dem Parlament eine Botschaft vorzulegen zur Finanzierung eines zusätzlichen obligatorischen Kinderarztbesuchs mit drei Jahren, anwendbar auf den Tarif Tarmed. Alternativ ist zu prüfen, ob der obligatorische Kinderarztbesuch zwischen vier und fünf Jahren um mindestens ein Jahr vorgezogen werden kann, um den gleichen Effekt zu erzeugen. Gleichzeitig muss das Parlament den Willen haben, vom Bundesrat mehr Tempo zu fordern.

SP Kanton St. Gallen / Toggenburg24