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Schweiz
23.09.2024

Aufruhr in der Idylle

Die «flämische Jeanne d’Arc» Marleen Schyvens hat mit ihrem Partner Martin Keiser die Petition: «Lasst das Lindli in Ruhe» lanciert.
Die «flämische Jeanne d’Arc» Marleen Schyvens hat mit ihrem Partner Martin Keiser die Petition: «Lasst das Lindli in Ruhe» lanciert. Bild: Ronny Bien
Das Lindli ist nicht nur ein beliebter Erholungsort für die Schaffhauser Bevölkerung, sondern seit diesem Sommer auch der Schauplatz eines Streits.

Die Stadt plant eine Umgestaltung der gesamten Rheinuferpromenade. Dabei soll auch das obere Lindli für 140 000 Franken aufgewertet werden, was von den Anwohnenden scharf kritisiert wird. Eine von ihnen initiierte Petition lautet: «Lasst das Lindli in Ruhe.»

Das obere Lindli zieht in der warmen Jahreszeit die Menschen an, die sich nicht nur dem Pulk des weiter vorne liegenden Hotspots entziehen, sondern die idyllische Umgebung beim Känzeli oder den beiden Wiesen bei den früheren Trotten geniessen wollen. Es gibt einen Ein- und Ausstieg für Schwimmende, Böötler legen gerne an dieser Stelle einen Halt ein. Sonnenanbetende finden dort ihren Platz, andere wandern dem Schattenwurf nach. Dieser Treffpunkt ist seit jeher ein fester Bestandteil des sommerlichen Dolce-Vita-Lebens in Schaffhausen. Doch nun sollen Veränderungen kommen, welche Anwohnende und Dauerflanierende in Aufruhr versetzen: Die Stadt plant, zwischen Strasse und den Wiesen 90 Zentimeter hohe Erdwälle aufzuschütten. Weiter soll eine Treppe mit Sitzstufen die bestehende Plattform beim grossen Stein und das Mäuerchen ersetzen.

Erhalt der Atmosphäre

Der Widerstand gegen die Pläne der Stadt begann anfangs Juni mit der Intervention von Marleen Schyvens und ihrem Partner Martin Keiser. Das Paar bewohnt seit mehr als zwanzig Jahren die historische frühere Trotte, die im Bereich der Wiese liegt. «Die Wiese würde durch die Aufschüttung der Erdwälle erheblich verkleinert», erklärt Schyvens: «Die geplante Treppe mit den Sitzstufen ist aus unserer Sicht absolut sinnlos. Die heutige Mauer bietet auf rund zwölf Metern genügend Sitzgelegenheiten. Die Erdwälle würden die freie Sicht auf den Rhein massiv beeinträchtigen. «Es geht um den Erhalt der einzigartigen Atmosphäre des Lindlis an diesem Standort. Das Lindli ist ein Ort, an dem sich die Menschen wohlfühlen. Diese Massnahmen würden das Flair komplett verändern», befürchtet Martin Keiser.

Petition gegen «Aufwertungswahn»

«Eines Tages erhielt Martin Keiser als einziger Anwohner einen Brief von der Stadt mit dem Bauvorhaben, ein paar Tage zuvor, wurden auf der gegenüberliegenden Strassenseite bereits Bauzonen ausgesteckt», fährt Marleen Schyvens fort. «Die Nachbarschaft und die Spaziergänger:innen kamen und fragten mich, was an dieser Stelle gebaut werde», erzählt Schyvens weiter. Für sie wurde die ganze Erklärerei zu einem regelrechten Fulltime-Job, wie sie berichtet. Die regelmässig Nutzenden haben einen engen emotionalen Bezug zum Lindli und können nicht verstehen, warum dieser Platz neu gestaltet werden soll.» Ihr Partner fährt weiter: «Ich hatte noch ein freundliches Telefonat mit dem Bereichsleiter von Grün Schaffhausen. Dabei sprachen wir hauptsächlich über mögliche Schattenspender, wie Bäume. Eine gemeinsame Begehung hat sich jedoch leider nie ergeben.»

«Flämische Jeanne d’Arc»

Marleen Schyvens stammt aus Antwerpen. Die belgische Hafenstadt ist in den letzten 50 Jahren eine der schönsten Städte Europas geworden – mit viel Grün. «Es gibt dort an die 5000 Cafés und Restaurants, die Leute lieben das Leben, auch wenn sie im Durchschnitt weniger Geld zur Verfügung haben.» Sie ist aber schon längst in Schaffhausen verwurzelt, singt im Konzertchor Schaffhausen und ist eine passionierte Gärtnerin. «Ich bin eine flämische Jeanne d’Arc. Daher auch die Energie, die Petition zu lancieren.» Keiser übernahm die Kommunikation mit den Verantwortlichen, sie sammelte fleissig Unterschriften. «Im ersten Durchgang kamen über 600 Unterschriften zusammen. Am Schluss waren es gar 1317», unterstreicht sie die Relevanz dieser Angelegenheit. «Die Stadt plant Massnahmen, die die Nutzenden nicht wollen», heisst es in der Petition. Besonders kritisch sehen die Unterzeichnenden die Schaffung einer «Hitzeinsel»: Die geplante Treppe und Sitzmauern würden die Fläche aufheizen. Die Menschen suchen für sich ein ruhiges Plätzchen und nicht ein Amphitheater, in dem sie wie Möwen nebeneinandersitzen, schreiben die Petitionäre weiter.

Vorschläge der Anwohnenden

Die Petitionäre liessen ihrem aufgestauten Ärger freien Lauf. So wird der Stadt Planlosigkeit vorgeworfen, was im Beispiel der «Gassa»-Abstimmung den «Gipfel der Dreistigkeit» erreichte, da nach dem Nein an der Urne, ein Restaurant auf diesem Gelände zu bauen, seit 2021 dennoch mit Pop-ups Sommergastronomie betrieben wird. In dieser Angelegenheit habe der Stadtrat «seinen Ermessensspielraum missbraucht» und viel Kredit verspielt. Im Gespräch kommt Keiser auch auf die Rheinufer-Promenade im Bereich zwischen der Feuerthaler Brücke und Kraftwerk zu sprechen. «Was sie dort mit dieser Betonwüste angerichtet haben, ist unsäglich. Dabei wäre es wohl möglich gewesen, mit Bäumen für Kühlung zu sorgen.»

Einfachere Lösung vorgeschlagen

Anstelle der aufwendigen Umgestaltung schlagen die Petitionäre einfachere Verbesserungen vor: Der Uferweg solle besser instandgehalten werden, Löcher im Boden geflickt und das Gras regelmässig gemäht werden. Gegen neue Bäume als Schattenspender hätte niemand etwas einzuwenden. «Was wir brauchen, sind mehr Bänkli als Sitzgelegenheiten und ein paar Bäume. Die Menschen suchen Privatsphäre und Schatten, nicht eine sterile Steintreppe», so Schyvens. Das Paar spricht aus Erfahrung: «Wir leben hier seit vielen Jahren und kennen das Lindli, wie auch die Bedürfnisse der Nutzenden sehr gut. Die Menschen kommen hierher, um sich zu entspannen. Was die Stadt plant, geht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Was hier vorgelegt wurde, ist konzept- und lieblos, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse derjenigen Menschen, die sich dort aufhalten.»

Der «Bock» bat die zuständigen Stellen um ein Statement, doch sowohl Grün Schaffhausen wie auch Stadträtin und Baureferentin Katrin Bernath, können erst nach Abschluss des Petitionsverfahrens Auskunft über das weitere Vorgehen geben. Die Hoffnung besteht, dass sowohl die Petitionäre, wie auch die Stadt eine Lösung anstreben, die alle zufriedenstellt. Denn schliesslich verfolgen beide Parteien dasselbe Ziel, dass die hohe Aufenthaltsqualität an diesem Ort erhalten bleibt.

«Ort des Anstosses»: An dieser Stelle soll das Lindli aufgewertet werden. Bild: Ronny Bien
Ronny Bien, Schaffhausen24 / Toggenburg24