Regisseur Michael Krummenacher spricht mit stgallen24 über die Herausforderungen, historische Genauigkeit und dramaturgische Freiheit zu vereinen und warum Ernsts Geschichte noch immer für die Schweiz von Bedeutung ist.
Michael Krummenacher, der «Landesverräter» spielt während des Zweiten Weltkriegs. Was hat Sie dazu bewogen, die Geschichte von Ernst S. filmisch umzusetzen?
«Landesverräter» hat mich von der ersten Idee über die Recherche bis jetzt zum fertigen Film über viele Jahre beschäftigt. Als ich damit angefangen habe, war ich selbst ungefähr so alt wie Ernst, als er hingerichtet wurde. Dass an einem so jungen Menschen ein Exempel statuiert wurde, ist per se tragisch. In seinem Fall kommt aber dazu, dass er förmlich ausgelöscht wurde: Er musste namenlos bestattet werden, einzelne Familienmitglieder haben ihren Nachnamen geändert, weil die Scham so gross war – und seine Geschichte findet keinerlei Widerhall in der landläufig bekannten Schweizer Geschichte. So erwuchs in mir der Wunsch, Ernst ein Gesicht zu geben.
Ernst S. scheint eine eher gutgläubige Figur zu sein. Wie haben Sie diese Naivität im Film dargestellt, ohne die Person zu verurteilen, und wie wichtig war es Ihnen, Ernst S. als Menschen zu zeigen, der nicht bewusst handelt?
Ich habe mich der persönlichen Figur Ernst vorwiegend über die Briefe genähert, die sich in seiner Gerichtsakte finden. Das sind sowohl private Briefe als auch welche an den Richter oder seinen Vormund, in denen er sich zu erklären versucht. Diese Briefe sind erstaunlich eloquent formuliert für jemanden, der kaum Schulbildung geniessen konnte – sie zeichnen aber auch das Bild eines jungen Mannes, der sich durch die starke Sehnsucht nach einem besseren Leben von verschiedenen Seiten hat instrumentalisieren lassen. Naiv würde ich ihn darin gar nicht unbedingt nennen; vieles, was er schreibt, ist sehr reflektiert und selbstkritisch. Auf der anderen Seite aber auch schwärmerisch und mit einem Hang zu dramatischen, ja fast theatralen Formulierungen. Für mich ist Ernst eine zerrissene, ambivalente Figur, die versucht hat, in einer schwierigen Zeit ihren eigenen Weg zu finden, dabei aber in die Mühlen einer grösseren Erzählung geraten ist.