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Kultur
16.10.2024

«Goldiga Törgga» geht ans Jüdische Museum Hohenems

Das Jüdische Museum Hohenems mit dem «Baum», ein Werk von Hori Izhaki zur Ausstellung «Yalla. Arabisch-jüdische Berührungen»
Das Jüdische Museum Hohenems mit dem «Baum», ein Werk von Hori Izhaki zur Ausstellung «Yalla. Arabisch-jüdische Berührungen» Bild: Dietmar Walser
Die Rheintaler Kulturstiftung verleiht jährlich anfangs November den Kulturpreis «Goldiga Törgga». Heuer geht er erstmals an eine Institution: das Jüdische Museum Hohenems. Ausgezeichnet werden dessen «kluge und mutige Museumstätigkeit zu relevanten Themen und die länderverbindende Wirkung».

Wer im Bahnhof St.Margrethen oder bei der Velostation der Rheinbrücke in Höchst die Hörstation mit dem QR-Code öffnet, erfährt das Schicksal von Emilie Haas, die nach langer Flucht vor der Deportation ins Todeslager Sobibor zusammen mit ihrer Cousine Elisabeth Frank bei Höchst/St.Margrethen in die Schweiz gelangt und hier jahrelang um Dauerasyl kämpft.

Im Strandbad Diepoldsau und im ehemaligen Schweizer Konsulat in Bregenz ist die Geschichte des Schweizer Diplomaten Ernest Prodolliet zu hören, der Flüchtlingen verbotenerweise mit Einreise- und Transitvisen die Flucht ermöglichte – und gefasst wird.

Dies sind nur zwei von vielen weiteren Beispielen, die seit Sommer 2022 als Teil des Radwegs entlang des Rheins vom Bodensee und bis zur Silvretta mit 52 Hörstationen in Vorarlberg, der Schweiz und in Liechtenstein mit Fluchtgeschichten von 1938 bis 1945 zu erkunden sind. 17 der Hörstationen befinden sich im St.Galler Rheintal.

«Über die Grenze», so der beredte Titel, ist ein Projekt des Jüdischen Museums Hohenems (JMH) unter der Leitung von Hanno Loewy. Begleitet von einer umfangreichen Publikation, macht es die ausserordentlichen Verdienste des Jüdischen Museums Hohenems bildhaft sicht- und hörbar: Die Erinnerungskultur mit individuellen Geschichten der Vertreibung und Verfolgung während des Nationalsozialismus pflegen und vermitteln – über die Grenzen hinaus.

Hör-Radweg «Über die Grenze» an der Wiesenrainbrücke zwischen Diepoldsau und Lustenau. Bild: Dietmar Walser

Das Museum, seine Geschichte, seine Gegenwart, sein Direktor

Das Jüdische Museum Hohenems wurde 1991 in der Villa Heimann-Rosenthal im Zentrum des jüdischen Viertels in Hohenems nach langen Vorarbeiten eröffnet. Von Beginn an erzählt es einladend und lebensnah eine exemplarische Geschichte der Diaspora. Für Erwachsene, für Kinder, für alle. Und es beschäftigt sich mit jüdischer Gegenwart in Europa, auch mit der übergeordneten Frage des Zusammenlebens und der Migration.

Entlang der Bruchlinien der regionalen und globalen Geschichte widmet sich das JMH den Menschen, ihren Erfahrungen und Lebensgeschichten. Attraktive, wechselnde Ausstellungen ergänzen die Dauerausstellung und halten sie aktuell. Im vergangenen Jahr waren es «Ausgestopfte Juden?», eine zukunftsgerichtete Reflexion über museale Praktiken und Inhalte, gefolgt von der Ausstellung «A Place of Our Own», in der das Leben von jungen Palästinenserinnen in Tel Aviv, begleitet mit der Kamera der israelischen Fotografin Iris Hassid, im Mittelpunkt stand.

Mit «Yalla. Arabisch-jüdische Berührungen», Ende September eröffnet, ist der Fokus auf die lange und widersprüchliche Beziehungsgeschichte arabisch-jüdischer Lebenswelten gerichtet. Über sowohl künstlerische als auch historische Momente wird die Möglichkeit des Zusammendenkens, der fruchtbaren Berührungen und des möglichen gemeinsamen Vorwärtsgehens aufgezeigt.

Das Vermittlungsprogramm des JMH wird auch von Schweizer Seite gerne genutzt, auch über die Vermittlungsplattform «kklick» für Schulen. Seit bald zwanzig Jahren lenkt Hanno Loewy, studierter Literatur-, Theater- und Filmwissenschaftler, als Direktor mit seinem Team die Geschicke des Jüdischen Museums Hohenems, weise, engagiert, mit Herz und Weitblick. Und mit Hoffnung.

Bewachte Grenze am Rohr zwischen Diepoldsau und Lustenau, undatiert (um 1940), Historisches Archiv Lustenau. Bild: Robert Schlachter

Wieso geht der Rheintaler Kulturpreis über die Grenze?

«Der dreizehnte Rheintaler Kulturpreis 'Goldiga Törgga' geht an das Jüdische Museum Hohenems für seine kluge und mutige Ausstellungs- und Vermittlungstätigkeit zu Themen, die unsere Gesellschaft kontrovers diskutiert: Flucht, Migration, Identität, Krieg, Nahostkonflikt und das interreligiöse Zusammenleben. Davon profitiert das St.Galler Rheintal konstant», schreibt die Jury.

Die im JMH verhandelten Themen gingen alle an. «Das Jüdische Museum Hohenems ist Inspiration und Bereicherung für die Rheintaler Museumslandschaft. Die kompetente Institution ist wichtiger und prägender Teil der Kulturregion Rheintal, bietet Orientierung und Hintergrundwissen zu brisanten Fragen und inspiriert mit seiner überzeugenden Vermittlungspraxis», lobt das Komitee.

Der «Goldiga Törgga» 2024 geht auch für die länderverbindende Dynamik an das Jüdische Museum Hohenems, die sich aktuell in der Zusammenarbeit für die Sonderausstellung zum Geschehen im Rheintal zwischen 1938 und 1945 im Museum Prestegg zeigt, die von Hanno Loewy und seinem Team mitkuratiert wird.

Das Jüdische Museum Hohenems ist auch am geplanten Vermittlungszentrum in Diepoldsau im Rahmen des Projekts «Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus» engagiert. Mit der Auszeichnung des JMH geht der Preis erstmals an eine Kulturinstitution und erstmals über den Rhein.

Direktor Hanno Loewy im Garten des Jüdischen Museums Hohenems Bild: Dietmar Walser

Milo Rau kommt für die Würdigung nach Heerbrugg

Für die Laudatio konnte auf Wunsch von Hanno Loewy Milo Rau gewonnen werden, seit 2023 der aktuelle Intendant der Wiener Festwochen. Der international bedeutende St.Galler Theater- und Filmregisseur, Kunsttheoretiker und Autor Milo Rau, der 2022 mit dem Grossen Kulturpreis der St.Gallischen Kulturstiftung ausgezeichnet wurde und einen Diskurs um die Rechtmässigkeit der ägyptischen Mumie Schepenese in der Stiftsbibliothek ausgelöst hatte, ist bekannt für seine vielfältige, kontrovers diskutierte, bedeutsame und mutige Arbeit.

Milo Rau thematisiert drängende Themen unserer Zeit und entwickelt seine Projekte oft im Prozess mit der Bevölkerung, Opfern, Tätern, Zeuginnen, so etwa in «Kongo Tribunal». Oder er führt mit klassischen Theaterstoffen akute Missstände der Gegenwart vor Augen, etwa mit «Orest in Mossul». Selbstverständlich lässt er weder historische Grössen wie Mozart noch die aktuellen politischen Bewegungen in Österreich unkommentiert. Umso gespannter darf man auf die Würdigung des Jüdischen Museums Hohenems und dessen Direktor Hanno Loewy sein.

Preisverleihung am 8. November 2024

Die feierliche Übergabe des Rheintaler Kulturpreises «Goldiga Törgga» an das Jüdische Museum Hohenems findet am Freitag, 8. November 2024, 18.00, im Kinotheater Madlen, Auerstrasse 18, 9435 Heerbrugg statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Christa Köppel, Präsidentin der Rheintaler Kulturstiftung, führt durch den Abend. Im Anschluss an die Preisverleihung wird ein Apéro riche offeriert. Um eine baldige Anmeldung unter diesem Link wird gebeten.

pd/jos/toggenburg24