Der Branchenverband Insos SG-AI begrüsst die Einführung der Subjektfinanzierung, befürchtet aber, dass die Tarife nicht kostendeckend sein könnten.
Seit zweieinhalb Jahren beschäftigt sich Insos SG-AI intensiv mit der Gesetzesrevision im Behindertenbereich und hat im Dezember 2022 ein Positionspapier erarbeitet. Darin hat der Verband die Anforderungen an das neue Behindertengesetz formuliert: «Insos SG-AI wünscht sich die UNO-Menschenrechtskonvention für Menschen mit Behinderung (UN-BRK) als Leitfaden und verbindliche Grundlage für die anstehende Gesetzesrevision.»
Damit einher geht ein Paradigmenwechsel vom allumfassenden Fürsorgeprinzip (Platzorientierung) zu personenzentrierten, bedürfnisorientierten Dienstleistungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf; dies mit dem Ziel der vollständigen gesellschaftlichen Teilhabe und selbstbestimmten Lebensführung. Insos SG-AI war über das Partizipationskonzept des Kantons St.Gallen in die Erarbeitung des revidierten Gesetzes einbezogen und hat im Verbund mit dem Netzwerk der Dienstleistungsanbieter seine Anregungen, Impulse und Inputs laufend einbringen können.
Kostendeckende Tarife sind zwingend
Der Kanton St.Gallen hat sich entschieden, bei der Gesetzesrevision in einem ersten Schritt die sogenannte Subjektfinanzierung im ambulanten Wohnen umzusetzen, um die Wahlfreiheit beim Wohnen, welche die UN-BRK verlangt, umzusetzen. Insos SG-AI begrüsst die Subjektfinanzierung, weil diese erlaube, Dienstleistungen zu erbringen, die personenzentriert und individualisiert sind.
Insos SG-AI befürchtet aber, dass die finanzielle Abgeltung nicht kostendeckend sein könnte, was auf Kosten der Qualität der erbrachten Dienstleistungen ginge. Insos SG-AI kündigt daher an, sich in der Vernehmlassung dafür einzusetzen, dass die Tarife marktgerecht gestaltet werden und dass seine Mitglieder im Wettbewerb mit neuen Anbietern nicht benachteiligt werden.
Massiv beschleunigter Transformationsprozess
Die Mitglieder von Insos SG-AI erbrächten teilweise schon seit Jahren Dienstleistungen im ambulanten Wohnen, bieten aber auch Wohnplätze auf dem Campus oder in dezentralen Wohngemeinschaften an. Mit der Gesetzesrevision wird der Umbau der Angebotslandschaft weiter beschleunigt.
Die neuen Entwicklungen werden von der Branche «ohne Wenn und Aber» befürwortet, weil das ihrem Dienstleistungsverständnis entspreche und Fehlanreize behoben werden sollen. Für sie sei aber unabdingbar, dass es gute Übergangslösungen gibt für Probleme, welche der Transformationsprozess mit sich bringe.
«Wenn mehr Personen in der eigenen Mietwohnung leben werden, wird der Leerbestand in den Wohnheimen steigen und für die nicht mehr benötigten Räume müssen neue Lösungen gesucht werden. Oder wenn z.B. die Auslastungsquote sinkt, die bis anhin eine entscheidende Grösse bei der Berechnung der finanziellen Abgeltung war, braucht es einen neuen Finanzierungsmechanismus.»
Gute Übergangslösungen gefragt
Insos SG-AI kündigt an, sich dafür einzusetzen, dass der sogenannt «stationäre» Bereich bei der Umsetzung nicht unter Sparbemühungen zu leiden hat. Der Verband begrüsst darum, dass der Kanton St.Gallen weitere Aspekte in einem zweiten Revisionsschritt in Angriff nehmen will, der den Fokus auf neue Finanzierungsmechanismen im stationären Bereich legt.
«Nichtsdestotrotz werden die Dienstleistungsanbieter von vielen Ängsten und Sorgen umgetrieben: Obwohl es derzeit keine Planungssicherheit gibt, müssen noch die üblichen Mehrjahresplanungen beim Kanton eingereicht werden, während auf der anderen Seite die Mitglieder die strategischen Neuausrichtungen nur gebremst angehen können, solange die Rahmenbedingungen oder Transformationsprozesse noch unklar sind», kritisiert Insos. Hier wünsche man sich eine aktive Zusammenarbeit im Übergang oder Konkretisierungen im Gesetzestext.
Umfassende Umsetzung der UN-BRK
Beim zweiten Handlungsfeld, der Verankerung der rechtlichen Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Kanton St.Gallen, legt Insos SG-AI Wert darauf, dass
- der Behinderungsbegriff sehr weit gefasst wird und mit «Menschen mit Behinderung» Personen nach Art. 2 Absatz 1 des eidgenössischen Behindertengleichstellungsgesetzes gemeint sind und
- dementsprechend «Leistungsnutzende Personen» nach Art. 2 Abs. 1 des eidgenössischen Behindertengleichstellungsgesetzes sind, welche eine Leistung gemäss diesem Gesetz nutzen.
Aus Sicht von Insos SG-AI muss das revidierte Gesetz Personen mit Unterstützungsbedarf, die benötigte Unterstützung und den Zugang zu Dienstleistungen zur Förderung der Teilhabe bzw. Chancengerechtigkeit gewährleisten, und zwar in allen Lebensbereichen. Die UN-BRK betreffe darum nicht nur das Wohnen (Art. 19), sondern insbesondere auch die Arbeit und Beschäftigung (Art. 27), die Bildung (Art. 24) sowie Freizeit, Sport und Kultur (Art. 30). Zudem fordert Insos, dass das «diskriminierende Wording, das noch in vielen Gesetzen zu finden ist», durch «wertfreie Begriffe» ersetzt wird.