Das weiss Verkehrsplaner Carsten Hagedorn, Professor im Studiengang Stadt-, Verkehrs- und Raumplanung und Kursleiter des CAS Fuss- und Veloverkehr an der OST – Ostschweizer Fachhochschule.
Carsten Hagedorn, das Velo ist in der Schweiz ein beliebtes Freizeitobjekt. Doch im Alltagsverkehr scheint es oft nicht mit anderen Verkehrsmitteln mithalten zu können. Woran hapert es?
In der Freizeit suchen wir uns bewusst die schönen Wege aus. Im Alltag hingegen ist man an eine bestimmte Strecke gebunden und es stellt sich immer die Frage, ob dort die notwendige Infrastruktur vorhanden ist. Um Menschen dazu zu bewegen, aufs Velo zu steigen, braucht es Verbindungen, die als sicher empfunden werden und die vor allem durchgängig sind. In der Schweiz gibt es auf den Strecken häufig Unterbrüche – sei es, weil die Wege abrupt enden oder weil Strassen überquert werden müssen. So macht das Velofahren keine Freude.
Wenn man dann auch noch auf einer stark befahrenen Kantonsstrasse unterwegs ist, auf der einen Autos und Lastwagen dicht überholen oder wenn man an einer Kreuzung hinter einem Auspuff stehen muss, wirkt das abschreckend. Und es sind immer die Schwachstellen, die im Gedächtnis bleiben. Die Strecke kann sonst noch so gut sein, aber wenn es auf den letzten 200 Metern ungemütlich wird, schmälert das die Attraktivität gesamthaft. Natürlich gibt es auch noch andere Gründe, weshalb die Leute nicht Velo fahren.
Welche?
In der Schweiz ist die Kultur, mit dem Velo zur Arbeit zu fahren, zum Beispiel nicht im gleichen Mass verankert wie in anderen Ländern. Hier ist es ein wichtiges Kriterium, möglichst schnell am Arbeitsort zu sein. Viele legen den Weg deshalb lieber mit dem Auto zurück und gehen am Abend noch im Fitnessstudio aufs Fahrrad – statt sich im Alltag mit dem Velo zu bewegen. Ein Hindernis stellen auch topografische Gegebenheiten wie die bergige Landschaft dar. Und manchmal sind es auch ganz banale Dinge, die jemanden vom Velofahren abhalten: etwa die Sorge um die Frisur, die unter dem Velohelm leiden könnte. Nicht zuletzt gibt es auch Menschen, die gar nicht Velo fahren können.
Vor sechs Jahren hat die Schweizer Bevölkerung dem «Bundesbeschluss über die Velowege sowie die Fuss- und Wanderwege» zugestimmt und damit signalisiert, dass der Veloverkehr gefördert werden soll. Seit Januar 2023 ist das Veloweggesetz (VWG) in Kraft. Was ist davon zu spüren?
Das Gesetz verpflichtet die Kantone dazu, Velonetze mit Haupt- und Nebenrouten zu planen und bis 2043 zu realisieren. Entsprechend findet nun überall eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema statt. Es werden neue Stellen geschaffen, Fachleute gesucht und Mittel gebündelt, um eine gute Velostruktur umzusetzen. Man spürt, dass sich die Kantone, Städte und Gemeinden jetzt anstrengen. Früher haben sich viele weniger gekümmert, weil sie es nicht mussten.
Bis 2043 dauert es noch fast 20 Jahre. Gibt es auch bereits realisierte Projekte, die zeigen, in welche Richtung es gehen könnte?
Es gibt einige schöne Beispiele in der Schweiz, die bereits umgesetzt sind. Etwa das Freigleis in Luzern. Es handelt sich dabei um einen neuen Velo- und Fussweg auf einer stillgelegten Bahnstrecke. Dieses Leuchtturmprojekt ermöglicht Velofahrerinnen und Velofahrern eine rasche und direkte Verbindung. Aber auch in anderen Schweizer Städten ist einiges im Gange. Zum Beispiel in Basel, Zürich oder Winterthur.
Eine Vorreiterrolle hat in den letzten Jahren Bern eingenommen. Es möchte Velohauptstadt werden. Die Stadt hat bereits zahlreiche Massnahmen umgesetzt, darunter eine verbreiterte Velospur über die Lorrainebrücke. Genf und Lausanne haben während der Corona-Pandemie viel für das Velo gemacht. Lausanne hat dafür den Hauptpreis des Prix Velo Infrastruktur 2024 gewonnen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass innerorts bereits mehr realisiert wurde als ausserorts.
Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich da?
Die Schweiz holt auf. Sie ist aber noch weit vom Standard anderer Länder und Städte entfernt. Ganz vorn mit dabei ist die Niederlande, die bereits vor über 50 Jahren damit begonnen hat, ein gutes Velonetz aufzubauen – sowohl in den Städten als auch in den ländlichen Regionen. Dieses Netz besteht aus nummerierten Knotenpunkten, die an strategischen Stellen im Land platziert sind. Diese Knotenpunkte wiederum sind durch gut ausgeschilderte Wege miteinander verbunden. Auch Kopenhagen hat in den letzten Jahrzehnten ein fortschrittliches Velonetz umgesetzt und Paris baut rasant die Veloinfrastruktur aus.