Home Region Schweiz/Ausland Sport Rubriken Agenda
Magazin
24.12.2024
24.12.2024 07:52 Uhr

Christbäume im alten St.Gallen

Martin Luther im Kreise seiner Familie zu Wittenberg am Christabend 1536
Martin Luther im Kreise seiner Familie zu Wittenberg am Christabend 1536 Bild: Stahlstich Carl August Schwerdgeburt, 1843
Vom einfachen Schüttelbäumchen der Reformationszeit bis zum strahlenden Christbaum in St.Galler Stuben: Die Tradition des geschmückten Tannenbaums hat eine spannende Entwicklung durchlaufen.

Einst als Brauch der Zünfte und höfischen Kreise etabliert, wurde er ab dem 19. Jahrhundert zum Symbol für heimelige Weihnachtsfeste – nicht nur in der Stadt.

Aus neuerer Zeit stammt jener Brauch, ohne den man sich heutzutage Weihnachten kaum denken kann: ein Tännchen, geschmückt und mit Kerzen geziert, in der Wohnstube aufzustellen.

Hierher passt jene herrliche Anekdote, die Hermann Bauer in s'isch all daa erzählt: «Immer wieder, sooft ich daran denke, was mir ein guter Bekannter von ihrer Familienweihnacht zu Hause erzählte, muss ich leise schmölelen. Denn es ist so herzig, so herrlich sang-gallisch, so typisch: Sie hätten jeweils, berichtete er, jedes Jahr am Heiligen Abend eine ältliche Tante zu Besuch gehabt, und immer wieder habe es sich gleich zugetragen. Man sei im Nebenzimmer der Dinge, die da kommen sollten, harrend zusammengesessen, dann sei endlich die Stubentür aufgegangen und der strahlende Christbaum sichtbar geworden. Und es sprach die Tante (die nach einem einstigen Warenhausslogan alle Firmen kannte): «Da isch aber wider en schöne Bomm – wa hend er müese geh deför?»»

Der erste dokumentierte geschmückte Weihnachtsbaum stand im Jahr 1539 in der Strassburger Kathedrale Bild: KI

Christbäume erscheinen erstmals in der Reformationszeit als geschenktragende Schüttelbäumchen auf den Zunftstuben (z. B. in Bern). Lichtergeschmückte Buchsbäumchen waren um 1660 am Heidelberger Hof üblich. Der Weihnachtsbaum verbreitete sich dann im 18. Jahrhundert allmählich und wurde erst im 19. Jahrhundert volkstümlich. In Zürich etwa ist der erste mit Weihnachtslichtern geschmückte Baum als stadtzürcherischer Brauch für das Jahr 1775 bezeugt.

Louis Specker schreibt in seinem Neujahrsblatt über den stadt-sanktgallischen Handwerksgesellenverein, ein bedeutungsvolles Ereignis im Vereinsjahr sei die Christbaumfeier am Stephanstag gewesen. «Am 26. Dezember 1853 versammelten sich die Gesellen zum ersten Mal um den mit Gaben aller Art und einer Menge Kerzen geschmückten Christbaum. Der Gesellenverein war vermutlich einer der ersten Orte in St.Gallen, wo zu Weihnachten ein geschmückter Tannenbaum aufgestellt wurde. Mit dieser «in Deutschland am meisten üblichen» Weihnachtsfeier vermittelte der Verein den Jünglingen ein wenig heimatliche Stimmung.»

Weihnachtlich geschmückter Baum Ende des 19. Jahrhunderts Bild: Archiv

In der Denkschrift Der Kanton St.Gallen, 1803 bis 1903, steht ein Kapitel «St.Galler Land, St.Galler Volk» von Georg Baumberger. Ein kurzer Abschnitt ist den Weihnachtsbräuchen von Advent bis Dreikönig gewidmet: «Man begegnet oft der Darstellung, als sei der Christbaum eine Sitte, die sich einerseits aus deutschen Landen in die Schweiz verpflanzt habe und sodann erst in neuerer Zeit von den Städten auf das Land und aus den oberen Gesellschaftsschichten in die unteren. Da ist zu bemerken, dass in Alt St.Johann im Ober-Toggenburg der Christbaum seit Menschengedenken eingebürgert ist, solange sich siebzig- und achtzigjährige Männer überhaupt zu erinnern vermögen, und schon vor ihrem Gedenken eingebürgert war und zwar gerade beim Bauernvolke, beim ärmeren so gut, als beim hablicheren.

Dieser Text von alt Stadtarchivar Ernst Ziegler wurde erstmals in «Weihnacht und Neujahr im alten St.Gallen», Genossenschaft Typografia St.Gallen, 1988, veröffentlicht.

Es handelt sich ferner dort um eine Gegend, die damals weit abseits jeglicher nennenswerter Verkehrsadern lag, weit abseits von allem, was auch nur Städtchen war, und das, was man obere gesellschaftliche Kreise nennt, innert ihrem Umfange nicht hatte. Ähnlich ist es auch im Werdenberg. Es hat einigen Wert, dies zu konsultieren und damit gleichzeitig, dass der Christbaum in manchen unserer Gegenden aus dem schlichten Volke herausgewachsen ist. Ob er aber, wie einzelne Gelehrte behaupten, gleich den Kläusen vorchristlichen Ursprungs und ebenfalls ein idealisierter Rest der Sonnenwendfeste sei, bleibe dahingestellt.

Übrigens wird diese Annahme neuestens wieder allgemein bestritten und sein erstes Auftauchen ins 16. Jahrhundert verlegt. Im Neu-Toggenburg kommt in neuerer Zeit die Sitte mehr und mehr in Aufschwung, zum Christbaum auch die Krippe zu stellen, was den erstern nur adeln kann.»

Frontispiz zu Karl Reinthalers Weihnachtsbüchlein von 1843 Bild: Archiv

Die hier gemachten anekdotischen Bemerkungen zum Thema Weihnachten, die Verbote betreffend die Krippe im Kloster bei einem weitgehenden Fehlen von eigenen Weihnachtsbräuchen in der Stadt St.Gallen des 17. Jahrhunderts, muten uns aus heutiger Sicht unglaublich eng und kleinlich an. Wie alle Geschichte, so sollten auch diese obrigkeitlichen Gebote aus der Zeit heraus zu verstehen gesucht werden.

Statt uns über das 17. Jahrhundert erhaben zu fühlen, wollen wir hoffen, dass inzwischen ein grösserer Teil der St.Galler wenigstens in religiösen Dingen toleranter geworden ist und nicht mehr auf eine allgemeine Rechtgläubigkeit pocht. Es möge stattdessen der Lobgesang des Engels und der himmlischen Heerschar gehört werden:
Ehre sei Gott in den Höhen
und Friede auf Erden
unter den Menschen…

Ernst Ziegler, ehem. St.Galler Stadtarchivar / Toggenburg24