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06.12.2024

Anno 1649: St.Gallen als Helfer in der Not

Ausschnit aus der Missive vom 1. Dezember 1648 von der süddeutschen Reichsstadt Kaufbeuren
Ausschnit aus der Missive vom 1. Dezember 1648 von der süddeutschen Reichsstadt Kaufbeuren Bild: StadtASG, Missive 3870
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst.

Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute: Anhand von Missiven lässt sich erahnen, in welch grosser Not süddeutsche Städte nach dem Dreissigjährigen Krieg waren – und wie gefragt die Hilfe der Gallusstadt.

Am 1. Dezember 1648 ersuchten Bürgermeister und Rat von Kaufbeuren ihre Amtskollegen in St.Gallen um ein Darlehen von 4- bis 5000 Gulden. Hintergrund des Begehrens war, dass Kaufbeuren aufgefordert wurde, innert Monatsfrist 6200 Gulden an die Kreiskasse Ulm zu senden.

Kaufbeuren hatte nämlich die Pflicht, 12'000 Gulden an die schwedische Armee bezahlen zu müssen, welche die Stadt nach Ende des Dreissigjährigen Krieges noch immer besetzt hielt. Diese sogenannte Satisfaktionszahlung war Voraussetzung für den Abzug der Besatzer. Sie war Kaufbeuren – wie vielen anderen Orten in Süddeutschland – im Westfälischen Friedensschluss vom Oktober 1648 auferlegt worden.

Kaufbeuren aber lag wie Tausende andere deutsche Städte und Dörfer ruiniert am Boden: Krieg und Pest hatten in den vorangegangenen Jahrzehnten gewütet, die Bevölkerung hatte sich teils um die Hälfte reduziert.

Ausraubung und Zerstörung eines Dorfes im dreissigjährigen Kriege. Kupferstich von Jacques Callot 1633 Bild: National Gallery of Art, 1969.15.772

Über ein Dutzend Städte, Orte und Herrschaften wandten sich in ihrer Not an St.Gallen. Die Stadt hatte schon seit Jahrhunderten enge wirtschaftliche und politische Beziehungen mit zahlreichen Städten und Orten im süddeutschen Raum gepflegt.

Sie war aber nie unmittelbar in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt, hatte aber auch unter Pestzügen, Flüchtlingswellen, Einbruch der Handelsbeziehungen usw. gelitten. Trotz all dem ging es St.Gallen nach Kriegsende im Vergleich zu den deutschen Städten und Orten gut.

Die wichtigsten öffentlichen Gebäude Rathaus, St.Laurenzen und Kloster ragen überdimensioniert und zur Schau gestellt aus dem schematischen Stadtbild St.Gallens heraus, erste Hälfte des 17. Jahrhundert Bild: StadtASG, Bd 682a fol 97r

St.Gallen reagierte nach einigem Hin und Her auf den Hilferuf Kaufbeurens, indem der Grosse Rat ein Darlehen von 300 Dukaten oder 900 Gulden gewährte. Der Gulden ist in den Missiven mit fl. abgekürzt und war im Spätmittelalter die regionale Goldwährung. Der Dukaten wird 1559 zur Reichsmünze erklärt und damit zur Hauptgoldmünze, die den Gulden in den meisten Orten nach und nach verdrängte.

Bürgermeister und Kleiner Rat setzten die Konditionen in einer sogenannten Obligation fest: Laufzeit fünf Jahre zum Jahreszins von fünf Prozent. Mit den Zinszahlungen und der Rückzahlung haperte es dann jedoch: Kaufbeuren bat mehrmals um Aufschub für die Zinszahlungen. St.Gallen musste immer wieder mahnen. Die Rückzahlung der Hauptschuld zog sich lange hin.

Rheinischer Goldgulden: Mainz, Kurfürst Johann II. von Nassau (1397-1419), geprägt zwischen 1399-1402 in Frankfurt-Höchst Bild: Wikimedia Commons

Nach über 70 Jahren nach Ausrichtung des Darlehens reduzierte St.Gallen den Zins. Es dauerte aber noch bis 1748 – fast 100 Jahre nach der Darlehensgewährung –, bis Kaufbeuren die Obligation einlöste.

Der Missivensammlung im Stadtarchiv ist es zu verdanken, dass wir über den früheren Alltag auch der Nachbarn informiert sind. Anhand der Missiven aus den Jahren 1648 bis 1650 und Abschriften von Antworten St.Gallens lässt sich erahnen, in welch grosser Not die süddeutschen Städte und Orte waren, aber auch wie gefragt die Hilfe der Stadt St.Gallen war und wie sie damit umging.

Die Stadt erwies sich in zahlreichen Fällen als eigentliche Helferin in der Not.

Die erwähnten Missiven Nrn. 3870 und 3892 sind abrufbar unter:

Literatur

  • Schiess Traugott: Die Darlehen St.Gallens an schwäbische Städte beim Ausgang des 30-jährigen Krieges, Historischer Verein des Kantons St.Gallen, St.Gallen 1911.
  • Schmidt, Georg: Die Reiter der Apokalypse, Geschichte des Dreissigjährigen Krieges, München 2018.
  • Wild, Kaspar: Auszüge aus handschriftlichen Chroniken und aus den Rathsprotokollen der Stadt und Republik St.Gallen von 1551 bis 1750, St.Gallen 1847
Werner Hagmann