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31.12.2024

Als Geschenke zur Last wurden

Jan Steen: Das St.Nikolausfest, um 1665
Jan Steen: Das St.Nikolausfest, um 1665 Bild: musee-imaginaire.de
Es scheint, dass zu Anfang des 17. Jahrhunderts in St.Gallen der Brauch aufkam, den Kindern am Neujahrstag ‹zum neuen guten Jahr› etwas zu schenken.

Weil mit der Zeit diese Geschenke immer kostbarer wurden und man damit ‹so hoch gestiegen, dass es manchem zu einer beschwerlichen Last wurde›, erliess die hohe Obrigkeit am 26. Dezember 1611 ein ‹offenes Edikt›. Mit wenig Erfolg.

Die Herren Räte sahen in dieser Schenkerei vor allem ‹einen unnotwendigen Überfluss› und hielten sie mitnichten ‹für eine Ehr oder gute Gewohnheit›. Sie dachten gewiss an die ‹gute alte Zeit›, wenn sie in der Einleitung des Mandats schrieben: ‹Sintemalen dann solches bei unsern frommen Vordern [d. h. Vorfahren], ja auch bei unsern selbsteignen Lebzeiten und noch vor wenig kurzen Jahren nicht bräuchlich gewesen.› 

Das weihnachtliche Schenken geht einerseits auf eine römische Sitte zurück, ‹zu Jahresanfang als glückverheissendes Vorzeichen Geschenke zu geben›. Eine andere Wurzel sieht Richard Weiss ‹in der geheimnisvollen Bescherung durch höhere Mächte, die aus dem Glauben zu erklären ist, dass um Mittwinterzeit strafende und bescherende Dämonen, vor allem die Geister der Toten, die Menschen heimsuchen›.

Gegen Überfluss, Pracht und Köstlichkeit

Die Gnädigen Herren waren seit einiger Zeit bestrebt, ‹Überfluss, Pracht und Köstlichkeit› in ihrer Stadt einzudämmen, und hatten zu diesem Zweck im August 1611 ein grosses Mandat im Druck publizieren lassen, welches folgenden umfangreichen Titel trug: ‹Mandat und Ordnung, Herren Burgermeister, kleiner und grosser Räthen der Statt S. Gallen, von wegen deß Christichen Kirchgangs, und besuchung der Predigen: Item zu abstellung deß lieder. lichen zehrhafften lebens, Wie nicht weniger deß uberflusses prachts unnd koestligkeit in Gastereyen, an den Hochzeiten, und in der bekleydung.›

Ordnung betreffend die Neujahrsgaben

Und nun sollte hinsichtlich der Neujahrsgaben Ordnung geschaffen werden; zu diesem Behufe wurden folgende Bestimmungen erlassen: Fortan durften nur noch Väter und Mütter ihren Kindern, Grossväter und Grossmütter ihren Enkeln und Gevattern und Gevatterinnen ihren Taufkindern Neujahrsgaben verteilen. Allen anderen Personen wurde das Schenken bei Busse verboten.

‹Zu solchen Neujahrsgaben soll man nichts anderes geben als einen gemeinen Bibenzelten, wie bisher der Brauch war, oder dafür Pfilen-Brot oder gemeines Brot, welches aber an Wert nicht köstlicher sein solle, als ein gemeiner Bibenzelten, aber wohl schlechter.

Darauf und dazu solle man auch nichts anderes legen noch geben als bares Geld, nämlich Väter und Mütter, auch Grossväter und Grossmütter mehr nicht als für ein Kind auf das aller Mehrste 3 Batzen [12 Kreuzer], aber wohl weniger, je nach eines jeden Vermögen; aber Gevatter und Gevatterinnen mehr nicht als 6 Kreuzer, aber wohl weniger, abermals nach eines jeden Vermögen; alles bei vorbestimmter Busse.›

Das Pfilenbrot war ein besonderes, in der Schweiz verbreitetes Gebäck, das traditionell im Zusammenhang mit Neujahrsbräuchen verschenkt wurde. Der Begriff leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort «Pfila» ab, was so viel wie «Pfeil» bedeutet, und spielt auf die Form oder Verzierung des Brotes an, die manchmal an Pfeile erinnerte.

Das Pfilenbrot war vor allem im Raum St.Gallen und der Ostschweiz bekannt und hatte eine besondere Bedeutung in den Neujahrsritualen, bei denen Kinder oder Bedienstete Geschenke erhielten. Es wurde oft kunstvoll verziert und als Zeichen des Wohlstands und der Wertschätzung überreicht.

Stadtarme, Wächter, Dienstboten

Im Übrigen hatten die Armen der Stadt, die sogenannten ‹Stockleut›, d.h, jene, welche aus dem Opferstock der Kirche Almosen erhielten, seit einigen Jahren angefangen, ‹den Leuten ihre Kinder an den Neujahrstagen, mit grosser Beschwerde, um die Neujahrsgabe in die Häuser› zu schicken,

Und die Wächter, denen der Lohn gerade eben verbessert worden war, hatten begonnen, ‹mit Einsammlung der Neujahrsgabe› den Mitbürgern beschwerlich zu fallen. Sowohl den Stockleuten wie den Wächtern wurde dies verboten, und zwar, da man diesen armen Leuten ja wohl nur schwer eine Busse abknöpfen konnte, ‹bei Strafe der Gefangenschaft.›

Was die Dienstboten und dergleichen Personen anbelangte, die von ihren Meistersleuten, soweit sie es ‹mit getreuer Dienstleistung verdienten›, Neujahrsgaben zugute hatten, wollte es die Obrigkeit lassen wie bisher.

Ein paar Jahre später wurde offenbar mit diesem Neujahrsschenken wieder so üppiger Missbrauch getrieben, ‹dass es bald ein guter ehrlicher Hausvater nicht mehr erschwingen› konnte, und weil diese Geschenke ‹gar zu köstlich› und manchem Geber ‹zu einer beschwerlichen Last› wurden, schritt im Jahr 1639 die Obrigkeit der Stadtrepublik dagegen ein.

Früher wurden also Geschenke nicht an Weihnachten, sondern am Neujahrstag verteilt. Und wie heute damit an Weihnachten vielerorts ‹ein merklicher Missbrauch› betrieben wird, wurde im 17. Jahrhundert mit den Neujahrsgaben stark übertrieben.

Dem konnten damals noch die ‹gebietenden Herren und Obern Kleine und Grosse Räte› mit Edikten zu wehren versuchen – genützt hat es bis heute allerdings nur insofern, als statt dem Neujahrstag Weihnachten zum ‹Tag der Geschenke› geworden ist …

Dieser Text von alt Stadtarchivar Ernst Ziegler wurde erstmals in «Weihnacht und Neujahr im alten St.Gallen», Genossenschaft Typografia St.Gallen, 1988, veröffentlicht.

Gegen üppige Neujahrsgaben

Die Kleinen und Grossen Räte suchten also mittelst eines ‹christlichen Mandats› das Schenken am Neujahr wieder in bescheidenere Bahnen zu lenken, weil es nämlich für sie wie schon gesagt keine ‹Ehr oder gute Gewohnheit›, sondern immer noch ‹ein unnotwendiger Überfluss und Köstlichkeit› war, welches bei den frommen Vorfahren ‹dergestalt nicht bräuchig gewesen ist›.

Sie setzten deshalb noch einmal eine Ordnung auf und liessen sie schon im Sommer, in der sogenannten Steuergemeinde, also in der Bürgergemeinde im August, in der St.Laurenzenkirche von der Kanzel herab verlesen sowie öffentlich publizieren.

Wie bereits in einem Edikt, das 1611 erlassen worden war, bestimmte das Mandat von 1639, dass nur noch Eltern und Grosseltern sowie Taufpaten Geschenke machen durften, und zwar bloss noch in Form von ‹Bibenzelten› und ‹Pfilenbrot› oder gewöhnlichem Brot. Wer bares Geld schenken wollte, hatte sich nach wie vor genau an die in der Ordnung angegebenen Beträge zu halten.

Ungehorsam der Bürger

Weil die Gnädigen Herren ‹mit Ihrem nicht geringen Missfallen sehen und verspüren› mussten, dass den aufgesetzten Ordnungen ‹bishero schlechtlich nachgegangen› wurde, erneuerten sie 1654 und in den folgenden Jahren das Edikt ‹wegen der Kinder Gutjahr-Verehrungen›.

1655 bemängelten sie, dass ‹man es bei den gestellten Ordnungen, was man geben sollte, nicht bewenden lasse›, sondern einer den andern ‹mit Köstlichkeit› übertrumpfen wolle.

Dadurch werde aber ‹mancher ehrliche Bürger, der sich und die seinigen begehrt, mit Ehren und häuslichem Wesen durchzubringen›, in Verlegenheit gebracht, weil er bald nicht mehr wisse, wie er sich zu verhalten habe, ‹damit er nicht in vergebne, unnotwendige Unkosten und Schaden falle› – oder aber ‹bei Haltung der obrigkeitlichen Ordnung anstatt schuldigen Danks› gewärtigen müsse, dass ihn unvernünftige und ‹geudige Leut undanken, hinterreden und ausrichten›.

Vorsorge der Obrigkeit

Diese Stelle zeigt, wie die Obrigkeit im alten St.Gallen auch um das finanzielle Wohl ihrer Untertanen besorgt war – nicht zuletzt deshalb, weil durch derartige Bestimmungen verhindert werden sollte, dass allzuviele St.Galler dem Armensäckel zur Last fielen!

Es ist denkbar, dass es heutzutage dem einen oder anderen nicht ungelegen käme, wenn der hohe Stadtrat nebst der Regelung des Verkehrs mit allem so hochbedeutenden Drum und Dran auch ‹das Gaben› an Weihnacht und Neujahr reglementieren würde.

Wie mancher ‹ehrliche Hausvater› könnte sich dann bei Einkäufen, die weit über dem liegen, was seine Remuneration ihm erlaubt, auf Artikel soundso der stadtväterlichen Geschenk-Ordnung berufen und bräuchte den Pelzmantel für die Frau oder das Töffli für den Sohn nicht anzuschaffen …

Ernst Ziegler, ehem. St.Galler Stadtarchivar