«Das Recht auf Privatsphäre gehört sowohl zu den verfassungsrechtlichen Grundrechten der Schweiz* als auch zu den Menschenrechten, wie sie in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (UN-Menschenrechtscharta)** und im UNO-Menschenrechtsabkommen (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, ICCPR)*** festgehalten werden.
Kein anderes Grundrecht in westlichen Staaten, seien sie noch so demokratisch, wird derart widerstandslos eingeschränkt, ausgehebelt und untergraben wie die Privatsphäre: unter der Begründung von Sicherheit mittels Kriminalitätsbekämpfung oder auch dem Kampf gegen Sozialhilfe- und IV-Betrug.
Bei Letzterem dürfen hierzulande sogar Detektive tätig werden, die Leute beschatten, ja, sogar in ihrem Zuhause filmen und bespitzeln, wenn sie dieses von einem öffentlichen Standort aus einsehen können – der fleischgewordene Alptraum eines jeden Paranoikers.
Oft heisst es, wer nichts zu verbergen habe, müsse nichts befürchten, oder die Nutzung von Social-Media-Plattformen beinhalte ohnehin keine Privatsphäre mehr. Ganz so einfach ist es aber nicht.
Erstens: Was und wie viel man von seinen privaten Daten preisgibt, muss der eigenen Kontrolle unterstehen. Bei der Überwachung im öffentlichen Raum haben die Bürger diese Kontrolle nicht: Sie können solche Daten weder selbst erfassen noch einsehen noch der Datenerfassung irgendwo widersprechen.
Zweitens: Nichts zu verbergen zu haben, macht einen zum gläsernen Bürger – und dadurch zum willfährigen Objekt des Betrachters. Es stellt sich die Frage: Was für ein Betrachter? Sind wir in der Lage, den Betrachter zu überprüfen? Oder müssen wir ihm blindes Vertrauen schenken?
Drittens: Die Einschränkung von Privatsphäre zugunsten von Sicherheit ist alles andere als neu. Könnte mal jemand fragen, warum die Polizei auch im Jahr 2025 noch nicht in der Lage ist, die Kriminalität einzudämmen? Da werden immer neuere und effizientere Werkzeuge verlangt – aber wo ist eigentlich die Evaluierung der bereits bestehenden? Wo ist die Aussetzung und Abschaffung bereits bestehender Überwachungswerkzeuge, die die Kriminalität ganz offensichtlich nicht verringern können? Ich meine, Hallo: Kann die Polizei immer noch nicht selbstständig herausfinden, auf welcher Route eine Täterschaft geflohen ist?
Mir kommt es vor, als würde ein Unternehmen einen Angestellten mit einer Aufgabe betrauen. Und jener Angestellte, statt seine Aufgabe mit den ihm zur Verfügung stehenden Werkzeugen auszuführen, verlangt nach immer mehr Werkzeugen – unter der Begründung, die Aufgabe nicht anders lösen zu können.
Ist das nun fehlendes Werkzeug oder Unfähigkeit des Angestellten? Anders gefragt: Hört es eigentlich auch mal auf, dass nach immer mehr Überwachung und Kontrolle verlangt wird?
Ausufernde Einschränkungen von Grund- und Menschenrechten gehören weder zu liberalen Gesellschaften noch zu funktionierenden Demokratien.
Wo technische Mittel wie eine Gesichtserkennungssoftware ihren Einsatz finden, mag das anfangs ja nur in einem sehr eingeschränkten Umfang ermöglicht werden.
Jedoch zeigt sich: Die Vorteile einer möglichst lückenlosen Überwachung sind für die Verbrechensbekämpfung eben schmackhaft, und so neigen deren Akteure dazu, sie in Salamitaktik immer weiter auszudehnen.
Vor einer Totalkontrolle, wie sie aus Pekings «Überwachungslabor» mit eben derselben Gesichtserkennungssoftware bekannt ist, schützt uns lediglich noch eine hauchdünne Schicht unserer eigenen Gesetze in Form des Rechts auf Schutz der Privatsphäre. Schützen und bewahren wir es nicht konsequent, dann bricht dieser Schutzwall irgendwann. Freie Gesellschaften könnten so ihr definitives Ende finden.»
*Art. 13 Schutz der Privatsphäre
Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.
Link: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_13
**Artikel 12 - Freiheitssphäre des Einzelnen:
«Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, sein Heim oder seinen Briefwechsel noch Angriffen auf seine Ehre und seinen Beruf ausgesetzt werden. Jeder Mensch hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen derartige Eingriffe oder Anschläge.»
Link: https://www.amnesty.ch/de/themen/menschenrechte/einfuehrung-menschenrechte/die-allgemeine-erklarung-der-menschenrechte
***Artikel 17
(1) Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.
(2) Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.
Link: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/ICCPR/ICCPR_Pakt.pdf