Home Region Schweiz/Ausland Sport Rubriken Agenda
St. Gallen
16.01.2025

Der unermüdliche Alltag einer pflegenden Angehörigen

Frau  Radic aus St.Gallen stellt sich dieser Herausforderung auf beeindruckende Art und Weise.  (Symbolbild)
Frau Radic aus St.Gallen stellt sich dieser Herausforderung auf beeindruckende Art und Weise. (Symbolbild) Bild: Pixabay: Enlightening Images
Die Pflege von Angehörigen erfordert nicht nur körperliche und emotionale Stärke, sondern auch ein hohes Mass an Flexibilität, Einfühlungsvermögen und organisatorischem Geschick.

Bis vor einem Jahr arbeitete Frau Radic noch in einer Vollzeitstelle und pflegte gleichzeitig ihren neun Jahre alten, schwerbehinderten Sohn. Diese immense Mehrfachbelastung hinterliess deutliche Spuren. Letztlich musste sie ihre verantwortungsvolle Führungsposition aufgeben, da die psychischen und physischen Belastungen nicht länger zu bewältigen waren.

Anfang 2024 liess sich Radic von einer privaten Spitexorganisation als pflegende Angehörige für ihren Sohn anstellen. Seit Mitte dieses Jahres pflegt sie nun zusätzlich ihre 70-jährigen Mutter, die nach zahlreichen gesundheitlichen Rückschlägen aufgrund eines Arbeitsunfalls auf Unterstützung angewiesen ist. 

Ein Tag, der früh beginnt und spät endet

Der Tag von Radic beginnt, wenn andere noch tief schlafen – um 4:30 Uhr, denn sowohl ihr Sohn als auch ihre Mutter sind Frühaufsteher. Während sie ihren Sohn versorgt, die Windeln wechselt, das Fläschchen gibt und ihn noch einmal schlafen legt, sitzt ihre Mutter bereits in der Küche und frühstückt. Radic ist stets präsent und wechselt kontinuierlich zwischen den Bedürfnissen ihres Sohnes und ihrer Mutter.

Während ihr Sohn aufgrund seiner ausgeprägten Behinderung mit Epilepsieanfällen eine intensive Rund-um-die-Uhr-Betreuung benötigt, legt ihre Mutter grossen Wert auf ihre Selbstständigkeit, braucht jedoch bei bestimmten Tätigkeiten Unterstützung wie zum Beispiel bei Toilettengängen. Dieser ständige Balanceakt fordert sie nicht nur zeitlich, sondern auch emotional. 

Um ca. sieben Uhr weckt sie ihren Sohn, begleitet ihn durch sein Morgenritual und bringt ihn in die Sonderschule, bevor sie sich den Anliegen ihrer Mutter widmet. Nachmittags bestimmen medizinische Pflegeroutinen, administrative Tätigkeiten und die Vorbereitung von Mahlzeiten den Ablauf.

Abends schaut ihr Sohn auf dem Sofa Trickfilme, während ihre Mutter sich dem Lesen widmet. Die Nachtvorbereitung mit ihrem Sohn erfordert viel Zeit und Geduld. Dabei können schon Kleinigkeiten, wie z.B. das Zähneputzen zur Herausforderung werden, die Radic oft an ihre Grenzen bringt.

Aufgrund seiner Behinderung und des damit verbundenen Aggressionspotentials gestaltet sich dieser alltägliche Akt als äusserst anstrengend. Nachdem sie ihren Sohn ins Bett gebracht hat, widmet sich Radic der abendlichen Routine ihrer Mutter und unterstützt sie beispielsweise beim Baden. 

Ein Kraftakt, der sich lohnt

Die Belastung ist enorm, doch Radic findet Trost in den kleinen, kostbaren Momenten. «Wenn mein Sohn mich umarmt und «Mami» sagt, fühlt sich das wie ein Geschenk an», erzählt sie mit einem Lächeln. Ihre Mutter zeigt hin und wieder ihre Dankbarkeit mit einem einfachen «Danke» – Worte, die für Radic besonders wertvoll sind. Denn sie weiss, ihre Mutter ist eine sehr stolze Frau und diese Geste zeigt ihr, wie sehr sie die Unterstützung ihrer Tochter schätzt.

Private Spitex-Organisation als Stütze

Ein Lichtblick in ihrem fordernden Alltag ist die Unterstützung durch Pflegewegweiser, eine private Spitex-Organisation, bei der sie seit gut einem Jahr als pflegende Angehörige angestellt ist. «Die Unterstützung hilft mir enorm – sei es bei Bürokratie, praktischen Pflegetipps oder einfach bei Fragen, die man alleine nicht beantworten kann», erklärt Radic.

Besonders schätzt sie die Möglichkeit, sich mit anderen pflegenden Angehörigen auszutauschen. «In den Kursen, welche von Pflegewegweiser übernommen werden, habe ich Menschen getroffen, die genau wissen, wie emotional belastend diese Aufgabe sein kann. Es ist schön, zu spüren, dass man nicht alleine ist.»

Gesellschaftliche Anerkennung fehlt

Radic ist überzeugt, dass pflegende Angehörige mehr gesellschaftliche Anerkennung verdienen. «In einem Pflegeheim würde die Betreuung meines Sohnes oder meiner Mutter viel mehr kosten. Warum werden wir dann nicht angemessen entschädigt, nur weil wir verwandt sind?». Damit wünscht sie sich mehr Sichtbarkeit für pflegende Angehörige.

Die Wünsche einer Alltagsheldin

Was Radic sich am meisten wünscht, ist mehr Verständnis und Wertschätzung – sowohl von der Gesellschaft als auch von der Politik. Sie hofft, dass der Alltag pflegender Angehöriger besser in Dokumentationen oder anderen Formaten vermittelt wird, um ihre Realität greifbarer zu machen. «Es ist kein Job, den man einfach kündigen kann. Der Job ist dein Leben. Aber es ist auch ein Leben voller Liebe und Zuneigung.»

pd/tan/toggenburg24