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Schweiz
17.03.2025

Einst wanderten viele Schweizer aus

Blick auf Joinville im Bundesstaat Santa Catarina in Brasilien. Die Kolonie entstand am 9. März 1851 unter dem Namen Colônia Dona Francisca. Das 1983 aus der Taufe geholte Tanzfestival mauserte sich unterdessen zu einem der Grössten seiner Art – nicht nur in Brasilien, sondern in ganz Lateinamerika.
Blick auf Joinville im Bundesstaat Santa Catarina in Brasilien. Die Kolonie entstand am 9. März 1851 unter dem Namen Colônia Dona Francisca. Das 1983 aus der Taufe geholte Tanzfestival mauserte sich unterdessen zu einem der Grössten seiner Art – nicht nur in Brasilien, sondern in ganz Lateinamerika. Bild: Peter Baumer
Der 2006 gegründete Verein «Partnerschaft Schaffhausen Joinville» hat vom Regierungsrat den Leistungsauftrag das zwischen der Schweizer und brasilianischen Stadt bestehende Kooperationsabkommen mit konkreten Projekten umzusetzen.

Ein Vorhaben lag schon länger in der Schublade und wurde jüngst umgesetzt: Unterrichtsmaterial zur Schaffhauser Beteiligung an der Gründung von Joinville.

Das ganze Jahr hindurch Temperaturen von über 20 Grad, üppige Vegetation mit Palmen und Blumen, welche auch im Winter blühen, in der Nachbarschaft des Südatlantiks liegend und Einheimische mit Schweizer und Schaffhauser Nachnamen. Willkommen in Joinville, im Süden Brasiliens. Aber was hat eine Stadt in Lateinamerika mit der Eidgenossenschaft und der Munotstadt zu tun? Nun, von den 739 Schweizerinnen und Schweizern, welche im 19. Jahrhundert eine beschwerliche Reise auf sich nahmen, um das Paradies auf Erden zu finden, stammten 444 Personen aus der Region Schaffhausen. 1855 kamen unter anderem aus Thayngen Jakob Kummer, Johann Ogg und Johann Stamm nach Brasilien. Somit ist die einstige «Colônia Dona Francisca», geschichtlich betrachtet, eng mit Schaffhausen verknüpft. Damit irgendwann nicht nur die Schweizer Nachnamen, vieler Bewohner von Joinville, die letzten Erinnerungsschnipsel an die einstige Heimat sind, wurde 2006 der «Verein Partnerschaft Schaffhausen Joinville» ins Leben gerufen.

Paradies oder doch Hölle auf Erden

Die im 19. Jahrhundert ausgewanderten Eidgenossen wollten der herrschenden Misere entkommen und in den Tropen ein Stück Garten Eden finden. Den wirtschaftlich ausgehungerten Familien wurde das Blaue vom Himmel versprochen. «Die Auswanderer fanden aber nicht das Paradies vor, so wie es ihnen die Schlepper versprochen hatten, sondern eine schwierige Natur mit ungewohntem Klima. Mit nichts in der Tasche fingen sie wieder bei null an und mussten sich erneut verschulden», schildert der 76-jährige Alt-Nationalrat und Vereinsvorstand Hans-Jürg Fehr, aus Schaffhausen, die damals prekäre Situation. Im Sumpfgebiet mitten im dichten atlantischen Regenwald wurden die Neuankömmlinge zum Spielball der Interessen der brasilianischen Regierung, einer deutschen Kolonisationsfirma sowie der Schweizer Gemeinden, die ihre Reisevorschüsse zurückerhalten wollten, beschreibt der brasilianische Historiker Dilney Cunha die unverblümte Realität in seinem Buch «Das Paradies in den Sümpfen». Erst die Enkelgeneration bekam so richtig Boden unter den Füssen, wodurch Joinville, benannt nach dem Mann der damaligen kaiserlichen Tochter Dona Francisca, zur heutigen Industriestadt wurde. «Viele tragen weiterhin den Namen ihrer Schaffhauser Urahnen, aber nur noch wenige verstehen oder sprechen deutsch», erzählt Fehr dem «Bock». Verwandtschaftliche Beziehungen hätten in einzelnen Familien, wie etwa bei den Baumer aus Herblingen, bis heute Bestand. 

Näher zusammenrücken

«Ein spezielles Element der Partnerschaft ist der Austausch von Kulturschaffenden, die jeweils für ein paar Wochen in der Partnerstadt leben und arbeiten», so der Vereinsvorstand. Vor zwei Jahren war die Thaynger Musikerin Regula Bernath Gästin in Joinville und das Jahr davor war der Joinvillenser Kunstmaler Paolo Lindner zu Gast in Schaffhausen. Er bekam als Abschluss eine Ausstellung im Vebikus. Was Bernath musikalisch, kulturell und gesellschaftlich in Joinville und Curitiba erlebte, ist dem Blog auf ihrer Website, regulabernath.ch/joinville, zu entnehmen.

Das erste Highlight in der Vereinsgeschichte, gemäss Fehr: «Sicherlich die Verfilmung des Buches ‹Das Paradies in den Sümpfen›. Der Film heisst ‹Suiços brasileiros› und wird im Rahmen der kommenden Ritzmann-Ausstellung in Thayngen zweimal gezeigt.» Das zweite Highlight sei der Austausch im Bereich Ballett gewesen. Zuerst gastierte das «Bolshoi-Ensemble Joinville» zweimal im ausverkauften Stadttheater Schaffhausen. Im darauffolgenden Jahr ging die «Cinévox Junior Company» aus Neuhausen am Rheinfall in Joinville und in umliegenden Städten auf eine erfolgreiche Tourneé.

Viele sollen davon Wind bekommen

«Die Idee spukte schon lange in unseren Köpfen herum. Wir mussten aber zuerst die Finanzierung sicherstellen. Das brauchte eine gewisse Zeit», so der Alt-Nationalrat. Die Vorarbeiten lagen pfannenfertig in der Schublade. Als feststand, dass der Kanton 40 Prozent sowie die Kantonalbank, Georg Fischer und die Milton Ray Hartmann-Stiftung zusammen 20 Prozent der Kosten übernehmen, konnte mit dem «Kochen» begonnen werden. «Wir sind überzeugt, dass es wichtig ist, dieses Stück Schaffhauser Geschichte auch den nachwachsenden Generationen näher zu bringen. Und was gibt es Besseres, als dies über den Schulunterricht zu tun?» Um bei den Lehrkräften zu punkten, brauche es ein überzeugendes und professionelles Angebot. Dies konnte durch das in Schaffhausen domizilierte Unternehmen «Abalir» gewährleistet werden. Sie besitze bei den Lehrpersonen einen tadellosen Ruf.

Die Vorgaben des Vereins seien darin bestanden, dass Schülerinnen und Schüler sowie sonstige Interessierte aus den interaktiven und spielerischen Elementen erfahren, warum die Menschen damals auswanderten, wie sie reisten, was sie dabei erlebten, weshalb sie gerade den Südosten Brasiliens auswählten, was sie da erwartete und ob sich ihre Hoffnungen erfüllten. 

Das Material enthält Filmsequenzen, Podcasts und Texte. Hinzu kommen Komnentare für die Lehrpersonen und ein Schülerbereich. Im Maximum biete das Material Stoff für eine ganze Projektwoche auf Oberstufen-Niveau.

Bewusstsein stärken

«Die Unterlagen sollen historisches Wissen vermitteln. Parallel dazu dienen sie ebenfalls der Förderung des Problembewusstseins für die heutige Migration, welche oft ihre Wurzeln in denselben Ursachen hat, wie die Schaffhauserische vor 150 Jahren», hält Hans-Jürg Fehr fest. Deshalb habe die Auswanderungsgeschichte einen klaren Gegenwartsbezug.

Wer brasilianische Luft in Schaffhausen einatmen möchte, geht in den Allerheiligen-Antikgarten. Dort befinden sich die in der joinvillensischen Gärtnerei Agricola da Ilha eigens für die Schaffhauser gezüchtete «Taglilie Hemerocallis Schaffhausiensis».

Hier ist das Material zu finden: classroom.ch/kurse/3105-joinville-und-der-traum-von-uebersee

  • Alt-Nationalrat Hans-Jürg Fehr, Vorstand des Vereins Partnerschaft SH-Joinville. Bild: zVg.
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  • Das Denkmal mitten in Joinville erinnert an die Gründer aus der Schweiz. Bild: Peter Baumer
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  • Die ersten Einwanderer rodeten Wälder und bauten sich eigenhändig Hütten und Häuser. Immer noch tragen einige der Einwohnerinnen und Einwohner den Namen ihrer Schaffhauser Urahnen. Bild: Stadtarchiv Joinville
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  • 50 Jahre nach der Einwanderung: Die Töpferei der Familie Baumer. Den grössten Teil der Kolonialbevölkerung machten die Schweizer aus. Bild: Stadtarchiv Joinville
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Sandro Zoller, Schaffhausen24, Toggenburg24