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Kommentar
Wirtschaft
06.04.2025
04.04.2025 21:02 Uhr

Justiz-Debakel?

Bild: pixabay.com
Die Strafkammer des St. Galler Kantonsgerichts hebt das Urteil im Fall Bad Rans – liegt zwischen Buchs SG und Sevelen – wegen Verfahrensfehlern auf!

Im Wirtschaftsstrafverfahren rund um die Genossenschaft Bad Rans in Sevelen SG hat das Kreisgericht St. Gallen die beiden damals 70 und 77 Jahre alten Hauptbeschuldigten zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Strafverfahren waren im April 2020 auf Anordnung der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland ans Kreisgericht St. Gallen überwiesen worden. Im November 2018 ergangene Urteile des Kreisgerichts Werdenberg-Sarganserland waren zuvor hinfällig geworden, weil einer der beteiligten Richter in den Ausstand versetzt worden war.

Worum geht es?

Chronologie:

2010: Abbruch des alten Restaurants Bad Rans für den Bau eines Vier-Sterne-Hotels mit Kardiologiezentrum und Wellness. Kosten: bis 140 Millionen Franken

2011: Konkurseröffnung der Genossenschaft Bad Rans

Über ein Netzwerk von Wohnbaugenossenschaften, Beratungs- und Baufirmen stellten die Beschuldigten seit 2006 in mehreren Kantonen die Realisierung von Bauprojekten in Aussicht. Die gefundenen Investoren verloren viel Geld, das grösstenteils in die Taschen der Beschuldigten floss («Promotionshonorare», so die Anklage).

2016: Prozess beim Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland gescheitert

2018: Hauptverhandlung beim Kreisgericht mit Urteilen für lange Freiheitsstrafen, wegen Befangenheit eines Richters bis ans Bundesgericht weiter gezogen und ungültig

2021: Prozess neu am Kreisgericht St. Gallen mit milderen Urteilen wegen Verjährungsfristen – Berufungen der Verteidiger

2025: Aufhebung des St. Galler Urteils weil ein Beschuldigter nicht richtig verteidigt wurde…

Die Hauptbeschuldigten sind mittlerweile 81, 74 und 61 Jahre alt.

Kommentar

Als ehemaliger Bezirksrichter im Kanton Zürich war auch ich mit Wirtschaftsprozessen konfrontiert. Diese waren meist sehr umfangreich, komplex und für Juristen materiell schwierig. Meist brauchte es entweder ein monatelanges Einarbeiten (Bad Rans: Prozessakten in 60 Zügelkartons!), grosse personelle Ressourcen und genaueste Vorbesprechungen. Der Staat trägt ja die Beweislast und muss immer die Schwere des Verschuldens beurteilen. Bei einem gewerbsmässigen Betrug mit einer angedrohten Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren geht es immer um so komplexe Begriffe wie «arglistige Irreführung oder Irrtum», die bewiesen werden müssen. Die Verjährungsfrist beträgt bei den angeklagten Handlungen in der Regel 15 Jahre und beginnt mit dem Tag, an dem die letzte Tätigkeit ausgeführt wurde. Bad Rans 2011 Konkurseröffnung = 2026 verjährt!

Justiz-Debakel? St. Galler Justiz am Limit? Millionen-Pleite!

Solche harten Ausdrücke brauchte die Presse – aber nach meiner persönlichen Einschätzung sind sie nicht mal stark übertrieben. Die Top-Anwälte kennen sich bestens aus mit Prozessverzögerungen. Formelle Fragen, Vorfragen am Verhandlungstag (die sogleich beantwortet werden müssen), Verschiebungsgesuche, Befangenheiten, Verzögerungstaktik, ärztliche Gutachten, Beschuldigter nicht prozessfähig, mildere Strafen weil Beschleunigungsgebot missachtet wurde etc. sind an der Tagesordnung. Da haben es Gerichte schwer, vor allem kleinere mit weniger Personal. Zwischenfrage: Warum braucht es im Kanton St. Gallen fünf Richter in einem solchen Prozess? In Zürich reichten drei Personen.

Und mein persönliches, ernüchterndes Fazit:

In Wirtschaftsprozessen arbeiten sehr gute Anwälte, es gibt vergleichsweise tiefe Strafen, weil vieles nicht bewiesen werden kann, verjährt ist oder dann sagen sogar die Top-Anwälte: «In dubio pro reo».

In bin gespannt auf das Ergebnis im Prozess gegen den einstigen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz...

Dieter Scheuermeier, Neu St. Johann