Was will der Autor vermitteln? Der Leser oder Hörer soll begreifen: Dieser Knecht handelt nicht willkürlich. Er ist beauftragt, er trägt Schuld – fremde Schuld –, er opfert sich. Und: Er erhält eine Belohnung. Doch nicht in Form von Ruhm oder Reichtum, sondern durch das Vertrauen, das ihm geschenkt wird. Das Vertrauen darauf, dass man sich ihm anvertrauen kann.
Der Knecht wird zur Identifikationsfigur für den leidenden, aber vertrauenden Menschen.
Jesaia 53 zeigt auf, dass sich die Haltung des Hörers oder Lesers gegenüber dieser Figur des Gottesknechts prüfen lässt. Wer ist er für mich? Wofür steht er? Und wo liegt mein Widerstand? Die Schuldfrage steht dabei im Raum – und verlangt nach einer Antwort, die nicht nur psychologisch, sondern theologisch begründet ist.
Gott spricht durch den Propheten Jesaja zu seinem Volk, das sich auf dem Weg von Babylon nach Jerusalem befindet. Der Text, auf den wir uns beziehen, steht im Zusammenhang mit der Ermutigung an das Volk. Das Bild der kinderlosen Frau, die viele Nachkommen haben wird, illustriert die Hoffnung und die zukünftige Fruchtbarkeit Israels.
Inhaltlich begegnen uns in diesem Text zentrale Bilder: der Schoss, aus dem wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich neues Leben wächst; das verirrte Schaf; und das Schaf, das sich still zum Scheren ergibt und sich schlachten lässt. Diese Bilder fordern eine tiefere theologische Reflexion. Begriffe wie «Herr» (Gott), «Knecht» (Gottes Sohn – Christus), «Sünde» (Schuld der Menschen), «Schuld» (Zustand des Menschen) und «Abscheu» (Abneigung) verlangen eine differenzierte Auseinandersetzung.
Auch weitere Begriffe müssen erklärt werden: «offenbaren» bedeutet, ein Geheimnis bekannt zu machen oder aufzudecken; ein «Beauftragter» ist jemand, der einen Auftrag erhalten hat; «stattlich» bedeutet ansehnlich oder aussergewöhnlich; ein «kümmerlicher Spross» beschreibt etwas Verkümmertes oder Vermickertes; «Opfer» meint Beitrag, Kollekte oder Spende; «opfern» kann Preisgeben, Hingeben, Aufopfern oder Drangeben bedeuten.
Der Autor will seinem Gegenüber verschiedene Vorstellungen und Einblicke vermitteln.
Er zeigt, was dieser Knecht tut, von wem er beauftragt ist und welche Aufgabe ihm übertragen wurde. Es wird deutlich, welche Belohnung er erhält und dass man sich diesem Gottesknecht anvertrauen kann.
Darüber hinaus soll der Text das Verhalten der Leser und Hörer beeinflussen. Es gibt verschiedene Anknüpfungspunkte, die dazu anregen, die eigene Haltung gegenüber dem Gottesknecht zu überprüfen. Mögliche Widerstände werden aufgedeckt und konkret benannt, wie zum Beispiel die Frage nach der eigenen Schuld.
Das Geschehen aus Jesaja 53 bildet die Mitte des Jesajabuchs. Gleichzeitig beleuchtet es die Mitte der Bibel aus Sicht des Alten Testaments. Dass die Kreuzigung und das Leben Jesu bereits rund 700 Jahre vor ihrem Eintreten prophezeit wurden, ist eine bedeutende theologische Aussage, die auch für den heutigen Menschen von grosser Relevanz ist.