Erich Schlatter war aber auch charmant, charismatisch und gewann damit immer wieder einflussreiche Persönlichkeiten für sich. Journalist Marlon Rusch schrieb ein Buch über den Schaffhauser Systemsprenger.
«Immer wieder habe ich über Personen geschrieben, die psychisch krank sind, sich am Rand der Gsellschaft bewegen und anecken. Die mit Abstand schillerndste Figur ist Erich Schlatter, den eine Zeit lang wahrscheinlich alle in Schaffhausen gekannt haben», erzählt der ehemalige Schaffhauser AZ Co-Chefredaktor und Autor Marlon Rusch im Gespräch mit dem «Bock». Schon nach der Kantonsschule, im Jahr 2006, habe der unterdessen 38-jährige Journalist bei der AZ erste Kulturvorschauen verfassen dürfen. Was er eigentlich einmal werden will, war aber zu dieser Zeit noch nicht klar. Er schrieb sich zwar in den Studiengang Geschichte ein, aber mehr aus Verlegenheit. Die Leidenschaft für das Geschichtenerzählen zog ihn immer mehr in den Journalismus hinein. In der AZ fand er eine Heimat. So entschied sich Rusch am Medienausbildungszentrum (MAZ) eine Journalistenausbildung zu absolvieren. Anschliessend fand er bei der «Schweiz am Sonntag» in Basel eine Anstellung – als Stellvertretung. «Es zeichnete sich bei der Schaffhauser AZ ein Generationenwechsel ab. Das Team sollte aus- und umgebaut werden. Ich wurde angefragt, ob ich, zusammen mit Freunden vom ‹Lappi›, die Leitung übernehmen möchte.» Zu dieser Zeit brachte er mit «Mitstreitern» ein kleines verspieltes Schaffhauser Kulturmagazin namens «Lappi» heraus, worin er die journalistischen Grenzen ausloten konnte.
2016 erfanden sie die AZ neu und legten den Fokus auf investigativen Journalismus sowie Gesellschaftsreportagen. «Es funktionierte. Das war an den steigenden Abozahlen zu erkennen, die sich Jahrzehnte lang auf einer Talfahrt befanden.»
Mittlerweile arbeitet Marlon Rusch in der Schweizer Redaktion der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit»
Zwischen Genie und Wahnsinn
«Kochen verblödet – Kochen tötet – Kochen macht süchtig und krank – Milchprodukte auch – Brot sowieso» schrieb Erich Schlatter einst neben den Eingang zur Migros in der Vorstadt. Von solchen «Schriften» gab es in den Neunzigerjahren viele in der Stadt. Diese zeigten eine kuriose und zum Schmunzeln bringende Seite des weitherum bekannten Stadtoriginals. Eine andere Seite von Schlatter hingegen irritierte die Menschen stark – milde ausgedrückt. Denn er führte gar eine Todesliste namens «Rohe Weihnachten» und war der Auffassung, dass es erst wieder eine «Frohe Weihnacht» gibt, wenn alle aufgelisteten Personen totgeschlagen oder gehenkt wurden. Daniel Jenne, damaliger Leiter des Strafverkehrsamts, und Oskar Wanner, damaliger Leiter der Klinik Breitenau, prangerten am sichtbarsten darauf.