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05.09.2025
04.09.2025 12:48 Uhr

EDV als Dienstleistung, Gründung der «VRSG» Teil V

Das Modell «IBM /370-145» kostet die Stadt insgesamt rund acht Millionen Franken
Das Modell «IBM /370-145» kostet die Stadt insgesamt rund acht Millionen Franken Bild: Wikipedia
Oliver Ittensohn, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, hat die Geschichte des Computers für uns nachskizziert. Teil 5: «EDV» als Dienstleistung – Die Gründung der «VRSG».

Seit der Einführung der EDV in der Stadtverwaltung gehen Anfragen von Gemeinden aus dem Bodenseegebiet ein. Die Elektrizitätsversorgung Rheineck will Programme für die Zählerabrechnung erstellen lassen, die Gemeinde Mörschwil möchte den städtischen Rechner für Berechnungen im Einwohnerwesen und der Steuerverwaltung beanspruchen.

Der IBM-Grossrechner kommt Anfang der 1970er-Jahre an seine Grenzen. Es folgt eine Ausschreibung für ein Nachfolgemodell. Zeitlich fällt sie zusammen mit der Planung und dem Bau des neuen Rathauses. Systemtechnische Überlegungen fliessen von Anfang an mit ein. Der Zentralrechner soll die unterschiedlichen Dienststellen zentral vernetzen. Auf die Daten zugegriffen wird über sogenannte «Terminals», Bildschirme mit Tastatur, die Anfragen an den Rechner stellen und Antworten anzeigen können. In der neuen Schalterhalle des Rathauses und den Aussenstellen werden solche Terminals installiert und entweder lokal über Kabel direkt angeschlossen oder – im Falle der Dienststellen an anderen Standorten – über Telefonkabel verbunden.

Das Zivilstandsamt greift in der Folge direkt auf die Einwohnerkartei zu, während das Personalamt die städtischen Arbeitnehmenden zentral erfasst und den Behörden zur Verfügung stellt. Die Datenmenge nimmt rasant zu. Anfang der 1970er-Jahre finden sich bereits über 2,5 Millionen Datensätze im System und die Mitarbeitenden stellen bis zu 450 Anfragen pro Tag.

Um die Flut zu bewältigen, wird ein leistungsstarker Zentralrechner benötigt. Als Nachfolger des alten Systems kommt wiederum ein Rechner von IBM, das Modell «IBM /370-145», zum Einsatz. Zunehmend werden allerdings die Kosten zum Problem. Die Jahresmiete beläuft sich auf über eine Million Schweizer Franken, der Ankaufspreis beträgt fast fünf Millionen. Am Ende kommen Kosten von ungefähr acht Millionen Franken zusammen.

Die Einsparungen sind in den Bilanzen schlecht sichtbar, die nötigen Kredite hoch. Mit der Idee eines Dienstleistungsbetriebs für andere Gemeinden sollen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger überzeugt werden. Das Rechenzentrum St.Gallen soll – so die Idee – für andere Gemeinden EDV-Aufträge abwickeln und so die Kosten auf weitere Schultern verteilen. Stadtammann Hummler und DfO Leiter Gabathuler entwerfen den Plan einer Aktiengesellschaft, welche im Dienstleistungsverhältnis Rechenoperationen für Gemeinden gegen Entgelt zur Verfügung stellen könnte. Das Interesse seitens Gemeinden ist vorhanden, als erste sagen Jona und Wittenbach zu. Per 1. Januar 1973 wird zu diesem Zweck die «Verwaltungsrechenzentrum AG St.Gallen» (VRSG) gegründet.

Alle Maschinen, Programme und das gesamte Personal werden von der DfO in die neue Aktiengesellschaft überführt. Die Stadt St.Gallen ist mit fast 90 Prozent Aktienkapital klare Hauptaktionärin. Im ersten Jahr kommen 8 Aktionäre und 11 Kunden dazu. Mit dieser Umorganisation und Kapitalspritze kann der neue Grossrechner bestellt werden. Im Jahr 1973 wird er geliefert: aus Platzgründen muss allerdings vorher der alte abgebaut werden, d. h., ein Parallelbetrieb ist nicht möglich.

Ein grosses Problem, denn zu Beginn läuft nicht alles rund, doch ist man mittlerweile vom Computersystem abhängig. Wochenlang werden Überstunden gemacht, denn die Steuererklärungen stehen an. Das Personal besteht nun aus der Leitung, fünfzehn Mitarbeitenden in der Programmierung und weiteren fünfzehn in der Produktion (Lochkarten, Eingaben, Wartung etc.). Der Keller des neuen Rathauses und die Büros im Parterre, im ersten und im zweiten Stock werden bezogen.

Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Ostschweizer Gemeinden wächst.

Viele Gemeinden nutzen das EDV-Angebot der Stadt. Altstätten und Oberriet treten dem Verbund bei. Der Andrang ist so gross, dass der Rechner bereits ein Jahr nach Inbetriebnahme erweitert werden muss, um die Datenflut zu bewältigen. Zwei Jahre später erfolgt ein erneuter Ausbau: Für knapp eine Million Franken muss das System grundlegend erweitert werden.

Auch das Personal und die Aufgaben wachsen: Im Jahr 1977 besteht die Führungsmannschaft aus sieben Personen, insgesamt hat die VRSG 44 Mitarbeitende. Jetzt gewinnt die VRSG in der ganzen Schweiz Renommee. Arosa tritt als erste ausserkantonale Gemeinde dem Verbund bei. Ende 1977 hat die VRSG 25 Kunden aus dem erweiterten Ostschweizer Gebiet. Für das Management des VRSG entstehen neue Herausforderungen: Als Dienstleistungsbetrieb reicht es nicht länger, Rechenleistung zur Verfügung zu stellen.

Es kommen die Arbeitsfelder Verkauf, Marketing und Kundenbetreuung dazu. Die Schalterhalle im neuen Rathaus erregt Aufsehen bis ins Ausland. 1979 besuchen Gemeindevertreter aus Osnabrück, Recklinghausen und Unna die Stadt, um sich das System vorführen zu lassen. Gleichzeitig kaufen der Kanton Zürich und die Stadt Lausanne das Programmpaket für das Rechnungswesen.

Bis Anfang der 1980er-Jahre wächst die VRSG ständig, neue Kunden zu gewinnen, gestaltet sich jedoch zunehmend schwieriger. Viele Gemeinden zeigen Interesse, schliessen aber keine Verträge ab oder steigen kurze Zeit später wieder aus. Trotzdem gibt es Erfolgserlebnisse. Die Gemeinde Bülach tritt bei, ebenso Bad Ragaz. In Goldach setzt die Gemeindekrankenkasse auf die Leistungen der VRSG. Das Geschäft wächst langsam, aber kontinuierlich.

Im Jahr 1982 zieht man Bilanz: 22 Aktionäre (bei Gründung 8), 34 Kunden (Gründung 11), 47 Mitarbeitende (Gründung 31), 215 Bildschirme (Gründung 0), Umsatz 7,8 Millionen Franken (Gründung 3,5 Millionen Franken).

In den folgenden Jahren setzt die VRSG technische Neuerungen um, unter anderem werden erste Farbbildschirme und eigenständige Personal Computer eingeführt. Der Grossrechner wird durch ein neues Modell von IBM (IBM4381) ersetzt, die Anzahl an Programmen, welche Gemeinden zur Lösung ihrer Verwaltungsaufgaben zur Verfügung gestellt werden, wächst. Zusätzlich werden erste Gemeinden untereinander vernetzt. Es ist der Beginn des Netzwerk- und Internetzeitalters. Im Jahr 1989 sind bereits über 1000 Terminals mit der VRSG verbunden, die Anzahl der Online-Transaktionen zwischen Terminal und Grossrechner übersteigt 190'000 pro Tag.

Die VRSG ändert sich Anfang der 1990er-Jahre grundlegend. Der Anteil am Aktienkapital der Stadt sinkt unter 50%, die Loslösung von der Stadt ist absehbar. Auch die Abgrenzung zwischen den Aufgaben der VRSG und der stadtinternen Informatikabteilung muss ausgehandelt werden. Die städtischen Mitarbeitenden kommen immer stärker in Berührung mit den neuen Technologien. Dies führt auch zu organisatorischen Herausforderungen. An die Arbeit mit dem Computersystem müssen sich die Angestellten erst gewöhnen.

Lesen Sie morgen im 6. und letzten Teil: Die Infrastruktur ist dem Ende nah – Das Projekt «Netz2000».

Bibliografie

Quellen aus dem Stadtarchiv der Politischen Gemeinde St.Gallen:

  • StadtASG, AB/9
  • StadtASG, 5/181/19
  • StadtASG, 5/240/1
  • StadtASG, 5/240/2

Literatur:

  • Beetz, Jürgen: Digital: Wie Computer denken, 2019.
  • Bruderer, Herbert: Schwierigkeiten beim Bau der ERMETH, in: Bulletin.ch, Band 106 (2015), Heft 4, S. 52-53.
  • Bruderer, Herbert: Konrad Zuse und die Schweiz, 2012.
  • Dyson, Turings Kathedrale, 2014.
  • Egger, Josef: Ein Wunderwerk der Technik, 2014.
  • Ehrmanntraut, Sophie: Wie Computer heimisch wurden, 2019.
  • Franzetti, Claudio: Essenz der Informatik, 2019.
  • Furger, Franco & Heintz, Bettina: Technologische Paradigmen und lokaler Kontext, das Beispiel der ERMETH, in: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, Band 23 (1997), Heft 3, S. 533-566.
  • Siegert, Paul Ferdinand: Die Geschichte der E-Mail, Erfolg und Krise eines Massenmediums, 2008.
Oliver Ittensohn / Toggenburg24