Home Region Schweiz/Ausland Sport Rubriken Agenda
Magazin
05.09.2025
06.09.2025 09:00 Uhr

So liefen Ausbürgerungen im 16. Jahrhundert ab

Missive von Hieronymus Sailer an Bürgermeister und Rat zu St.Gallen vom 26. September 1551
Missive von Hieronymus Sailer an Bürgermeister und Rat zu St.Gallen vom 26. September 1551 Bild: StadtASG, Missive 702
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst. Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute zeigen wir, wie Hieronymus Sailer, ein kosmopolitischer Grosskaufmann, um sein St.Galler Bürgerrecht gekämpft hat.

Im Spätsommer 1551 erhielten Bürgermeister und Rat von St.Gallen einen Brief von Hieronymus Sailer aus Augsburg. Dieser antwortete darin auf die Aufforderung der St.Galler Obrigkeit, seine Bürgerrechtsurkunde zwecks Vernichtung zurückzuschicken. Sailer wollte sein Bürgerrecht jedoch unbedingt behalten – auf die Gründe gehen wir später ein – und argumentierte zunächst ausweichend auf den St.Galler Wunsch.

Er schrieb im ersten Teil des Briefes ausweichend, er sei gerade erst nach zweijähriger Abwesenheit zu Frau und Kindern zurückgekehrt und könne frühestens in drei, vier Monaten nach St.Gallen kommen. Bis dann bitte er um Aufschub.

Im zweiten Teil des Briefes änderte sich der Tonfall; gleichzeitig dürfte Bürgermeister und Rat gedämmert haben, dass Sailer nicht die Absicht hatte, sein Bürgerrecht aufzugeben. Er trat nun offensiv auf und gelangte mit einer Bitte an die St.Galler Obrigkeit. Der französische König schulde ihm einen grossen Geldbetrag, dessen Auszahlung jedoch durch «allerlai Eintrag und unbilliche Verhinderung» verzögert werde.

Deshalb bitte er Bürgermeister und Rat von St.Gallen darum, dass sie sich für ihn in dieser Angelegenheit einsetzten. Als Bürger konnte er das von seiner Obrigkeit erwarten. Gleichzeitig hoffte er, von den guten Beziehungen der Eidgenossenschaft und damit auch von St.Gallen zum französischen König profitieren zu können.

Die St.Galler gingen auf Sailers Aufforderung jedoch nicht ein, beharrten sie doch weiterhin auf der Rückgabe der Bürgerrechtsurkunde. In den folgenden zwei Jahren wurde über verschiedene Mittelsmänner um das Bürgerrecht gefeilscht, ohne zu einem endgültigen Ergebnis zu kommen. Schliesslich schrieb Sailer am 3. Mai 1553 nach St.Gallen, ihn befremde die Unnachgiebigkeit von Bürgermeister und Rat in dieser Sache, denn er sei: «in eur Statt Originarius Civis und wie menigclich en wissendt von Eeren erporen» – er sei ein ursprünglicher Bürger ihrer Stadt und wie bekannt ist, aus gutem Hause.

Er denke nicht daran, sein Bürgerrecht aufzugeben, auch wenn die St.Galler damit drohten, die Augsburger Obrigkeit deswegen um Hilfe zu bitten. Offenbar knickte Sailer wenige Monate später trotzdem ein: So wird am 12. Dezember 1553 im Protokoll der Ratssitzung knapp vermerkt, dass Sailers Bürgerrechtsurkunde vernichtet wurde.

Zwei Fragen drängen sich auf. Wer war Hieronymus Sailer und warum kämpfte er über Jahre hinweg um sein St.Galler Bürgerrecht, wenn sein Lebensmittelpunkt doch im Ausland war?

Das Selbstbewusstsein und Repräsentationsbedürfnis Sailers kommt in seinem Porträt zum Ausdruck. Er tritt im strengen Schwarz des spanischen Hofes und herrschaftlicher Pose eines Adligen auf. Mit dem bewussten Verzicht auf kaufmännische Accessoires kontrastiert er damit die zeitgenössischen Berufsporträts Bild: Hieronymus Sailer, 90 x 80 cm von Christoph Amberger 1538, Alte Pinakothek München, L. 255

Hieronymus Sailer – kometenhafter Aufstieg in die europäische Wirtschaftselite

Der 1495 in St.Gallen geborene Sailer hatte sich, der Familientradition folgend, als Kaufmann in Italien und Portugal ausbilden lassen. Neben Sprach- und Rechenkenntnissen erwarb der junge Sailer dort ein breites Wissen über den Binnen- und Überseehandel mit verschiedenen Handelsgütern wie Gewürzen, Textilien, Farbstoffen und Metallwaren.

Ab 1524 arbeitete er in der spanischen Niederlassung der Augsburger Handelsgesellschaft von Bartholomäus Welser (1484-1561), neben den Fuggern die bedeutendsten Grosskaufleute im damaligen Süddeutschland.

Die Welser waren durch Handel und Bergbau zu grossem Reichtum gekommen, was ihnen den Einstieg ins lukrative, aber nicht risikolose Kreditgeschäft ermöglichte. Direkt oder zusammen mit weiteren Handelspartnern spezialisierten sie sich auf Finanz- und Wechselgeschäfte mit den fürstlichen und königlichen Höfen. Wesentlich für den Erfolg dieser Geschäftsstrategie war es, nah beim potenziellen Kunden zu sein und deshalb überall in den europäischen Wirtschaftsmetropolen Niederlassungen zu betreiben.

Diese Faktoreien wurden durch selbständig agierende Geschäftsführer geleitet, die mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut waren und ihr Netzwerk pflegten. In dieser Funktion schloss der inzwischen geadelte Hieronymus Sailer im Frühjahr 1528 mit Vertretern der spanischen Regierung Verträge zur Kolonisation Venezuelas ab.

Diese beinhaltete unter anderem die Lizenz für die Verschiffung von 4000 versklavten Menschen aus Afrika und 50 deutschen Bergleuten. Damit sollte das sagenumwobene El Dorado gefunden und anschliessend wirtschaftlich ausgebeutet werden. Menschenhandel war in den Augen der Welser und damit auch von Sailer nur eine weitere Diversifikationsmöglichkeit ihrer Handelstätigkeit.

1533 heiratete Sailer Felicitas Welser (1513-1569), die Tochter seines Arbeitgebers. Damit stieg Sailer nicht nur in den inneren Kreis der Welser-Gesellschaft auf, sondern erwarb auch das Augsburger Bürgerrecht, was unter normalen Umständen zum automatischen Erlöschen seines St.Galler Bürgerrecht geführt hätte.

Mit Joachim Vadian, einer der führenden Persönlichkeiten St.Gallens, den er freundschaftlich mit Vetter anredete, hatte er jedoch einen gewichtigen Fürsprecher.

Ansicht von Antwerpen, kolorierter Kupferstich Bild: Civitates Orbis Terrarum, Braun & Hogenberg, 1572–94

Antwerpen: Im Finanzzentrum an der Schelde

Als Geschäftsleitungsmitglied übernahm Sailer ab 1539 die Welser-Niederlassung in Antwerpen, dem damaligen Finanzzentrum der Welt, und baute im Auftrag seines Schwiegervaters das bestehende Währungs- und Finanzgeschäft weiter aus. Parallel dazu begann er, nebenbei und ohne Wissen der Welser, eigenständig Kredite an die französischen Könige und den römischen Kaiser Karl V., der auch die spanische Krone trug, zu vergeben.

Hierzu gründete Sailer mit anderen Kaufleuten eine Strohfirma mit Hauptsitz in Lyon. Für den gut vernetzten, überaus risikofreudigen und profitorientierten Hieronymus Sailer überwog die Aussicht auf hohe Zinsen und immense Gewinne das damit einhergehende Risiko. Finanziell waren es reine Spekulationsgeschäfte, denn beide Herrscherhäuser waren aufgrund andauernder Kriege nahezu bankrott.

Politisch war die beidseitigen Kreditvergaben ausserdem hochbrisant, denn Frankreich und das Reich standen in einem permanenten Rivalitätsverhältnis. Und damit nicht genug: Der Kaiser verbot 1546 im Rahmen eines Wirtschaftsboykotts gegenüber Frankreich den Handel zwischen Antwerpen und Lyon. Die Risiken von Sailers Handeln waren dementsprechend enorm.

Sailer jedoch fühlte sich offenbar sicher in seinem Handeln: Als ehemaliger Welser-Vertreter am spanischen Hof hatte er ein gutes Verhältnis zu Karl V. Mit seinem St.Galler Bürgerrecht wiederum konnte er sich auf die verschiedenen Freihandelsabkommen und Privilegien zwischen der Eidgenossenschaft und Frankreich berufen.

Dies funktionierte aber nur so lange, wie Hieronymus Sailer sein St.Galler Bürgerrecht vorweisen und auf die damit verbundenen Sonderrechte pochen konnte. Das erklärt sein permanentes Bemühen, sein Bürgerrecht zu erhalten und bestätigen zu lassen.

Absturz und Isolation

Als1544 erste Gerüchte über die Tätigkeiten Sailers in Umlauf kamen und bis nach Augsburg zu Sailers Schwiegervater Bartholomäus Welser drangen, musste Vadian im Konflikt zwischen Schwiegersohn und Schwiegervater vermitteln.

Gegen aussen wurde Einigkeit demonstriert, gegen innen jedoch entfremdeten sich die beiden Kaufleute über die Jahre mehr und mehr. Dies gipfelte schliesslich im Ausschluss Sailers aus der Welser-Gesellschaft und in seiner Enterbung.

Als kaiserliche Beamte ihre Korrespondenz abfingen und die geschäftlichen Verstrickungen mit Frankreich aufflogen, war endgültig Schluss. 1550 wurden Sailer und seine Geschäftspartner verhaftet und aufgrund des Verstosses gegen die Monopol- und Wuchergesetze vor Gericht gestellt. Sailer wurde zu einer Geldstrafe von 60'000 Gulden – eine immense Summe – verurteilt.

Anschliessend begann ein langjähriger gerichtlicher Streit zwischen ihm und seinen Handelspartnern. Gegenseitige Anschuldigungen, die Aufkündung des Gesellschaftsvertrags, die Blockierung von Konten und die Beschlagnahmung von Gütern waren Mittel, um die Gegenseite in die Knie zu zwingen.

Zwar unterstützte Bartholomäus Welser seinen Schwiegersohn auch weiterhin, jedoch nicht aus familiären Gründen, sondern um den Reputationsschaden für die Welser-Gesellschaft so gering als möglich zu halten. 

1553 war für Hieronymus Sailer schliesslich in doppelter Hinsicht ein katastrophales Jahr. Er wurde enterbt und damit zur Unperson in Augsburg, gleichzeitig verlor er sein lang umkämpftes St.Galler Bürgerrecht. Krank und isoliert starb Sailer 1559.

Die einstige Bedeutung der wohlhabenden St.Galler Familie Sailer lässt sich heute noch am Gebäude des Schulhaus Kugelgasse mit der Hausnummer 19 abschätzen, mit dem Sailer-Wappen über dem Eingang. Ein Haus, das 1594 testamentarisch der Stadt vermacht wurde.

Die erwähnten Missiven Nrn. 702 und 719 sind abrufbar unter: missiven.stadtarchiv.ch/data/stasg_missiv_00702.xml und missiven.stadtarchiv.ch/data/stasg_missiv_00719.xml

Literatur:

  • Denzel, Markus A., Häberlein, Mark: Die Schweiz im europäischen Netzwerk der Welser, Annales Mercaturae: Band 4 (2018), 2019.
  • Häberlein, Mark: Sailer, Hieronymus, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, 2005, S. 355-356. URL: deutsche-biographie.de/pnd137224435.html#ndbcontent, aufgerufen am 20.08.2025.
  • Krauer, Rezia; Stadelmann, Nicole et al. (Hg.): Konquistadoren und Sklavenhändler vom Bodensee. Kolonialgeschichte im 16. Jahrhundert, Schwellbrunn 2024.
  • Krauer, Rezia: Hieronymus Sailer, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.04.2025. URL: hls-dhs-dss.ch/de/articles/062213/2025-04-15 aufgerufen am 20.08.2025.
Arman Weidenmann / Toggenburg24