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St. Gallen
08.11.2025

Kornhandel mit Hindernissen

Schreiben aus Überlingen aus dem Jahr 1650
Schreiben aus Überlingen aus dem Jahr 1650 Bild: StadtASG, Missive 4061
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst.

Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute zeigen wir, dass Zölle schon im 17. Jahrhundert ein Problem darstellen konnten.

Zwei knapp gehaltene Missiven vom Oktober 1650 – also vor präzis 375 Jahren – thematisieren den damaligen Handel mit Nahrungsmitteln über den Bodensee und die Problematik der darauf erhobenen Zölle:

Am 5. Oktober 1650 (Datum nach gregorianischem Kalender) schrieben Bürgermeister und Rat zu Überlingen ihren Kollegen in St.Gallen (Missive Nr. 4061). Sie zeigten an, dass der Kornmarkt in Überlingen, der wegen des 30jährigen Krieges eingestellt war, nach dem inzwischen erfolgten Friedensschluss von 1648 wieder aufgenommen werde.

Die St.Galler Kaufleute hätten stets einen regen Handel mit Überlingen getrieben. Bürgermeister und Rat bitten die St.Galler Regierung, ihren Bürgern entsprechend Mitteilung zu machen in der Hoffnung, dass deren Vertrauen in das Überlinger Gewerbe wieder zurückkehre und der Handel wieder floriere.

Zwölf Tage später, am 7. Oktober 1650 (Datum nach julianischem Kalender), antworteten die St.Galler (Missive Nr. 4062). Sie hätten die Nachricht von der Wiederaufnahme des althergebrachten Kornmarktes ihren Gewerbetreibenden aus der Zunft der Pfister (Bäcker) zukommen lassen.

Die Pfister hätten sich aber darüber beschwert, dass die Zölle und andere Unkosten, die auf den Waren erhoben würden, zurzeit so hoch seien, dass sie den Markt nicht benützen könnten. Sobald die Zölle und die Kosten wieder – wie in anderen Orten bereits geschehen – «in den alten tax herabgesezt» seien, würden sie den Markt wie früher wieder besuchen.

Kornmarkt «alte Greth» in Überlingen, Ausschnitt aus dem Plan von Matthäus Merian, gedruckt 1643 in Frankfurt Bild: Wikimedia Commons

Der Kornmarkt zu Überlingen, untergebracht in der «alten Greth», dem Waren- und Zolllager, aus dem 14. Jahrhundert, war von überregionaler Bedeutung vor allem für den Handel mit Getreide.

Der Export aus Süddeutschland bzw. der Import in die Ostschweiz war für die Versorgung der hiesigen Bevölkerung mit diesem Grundnahrungsmittel von existenzieller Bedeutung. Die eigene Produktion hatte schon im Spätmittelalter nicht mehr ausgereicht. In der frühen Neuzeit entwickelte sich die Versorgung mit inländischem Getreide zunehmend zu einem Engpass.

Der Grund dafür lag hauptsächlich in der Vernachlässigung des Getreideanbaus in der Ostschweiz als Folge der Fokussierung auf andere Produktionsbereiche, wie Vieh- und Milchwirtschaft oder Weinanbau. Hinzu kam, dass dadurch frei gewordene Arbeitskräfte die gewerbliche Spezialisierung in Form der Produktion von Tuchen und Stickereien ermöglichten und förderten.

Umso (überlebens)wichtiger wurde der Getreideimport aus dem süddeutschen Raum. Aus Überlingen wurde pro Woche so viel Brotgetreide über den Bodensee gefahren, dass damit 23'000 Menschen sieben Tage lang mit Brot versorgt werden konnten.

Der Getreideexport war andererseits eine wichtige Einnahmequelle für Überlingen und die Getreideproduzenten im süddeutschen Einzugsgebiet. Sodann belieferte St.Gallen – gleichsam im Gegenzug zum Getreideimport – Überlingen mit Butter (Schmalz) aus der Vieh- und Milchwirtschaft in der Ostschweiz. Dieser Wirtschaftsbereich wurde im süddeutschen Raum stark vernachlässigt.

Marktglocke der Greth in Überlingen von 1655, ausgestellt in der Kino-Lounge der renovierten Gred Bild: Wikimedia Commons

Im Dreissigjährigen Krieg (1618–1648) hatten die Handelsbeziehungen zwischen den Orten an beiden Ufern des Bodensees erheblich gelitten. Zum einen waren die deutschen Orte aufgrund der Kriegswirren und der damit verbundenen Zerstörungen und Dezimierung der Bevölkerung, auch mitverursacht durch Pestzüge und Missernten, kaum mehr in der Lage, über den eigenen Bedarf hinaus Güter für den Export zu produzieren.

Und andererseits fehlte es ihnen zunehmend an den finanziellen Mitteln, Güter aus der Eidgenossenschaft zu beziehen. Hinzu kamen obrigkeitlich angeordnete Restriktionen im Warenaustausch, insbesondere gegen Ende des Krieges, als Süddeutschland von der schwedischen Besatzungsmacht beherrscht war.

Obwohl die Ostschweiz auf die Einfuhr von Getreide und damit auf einen funktionierenden Wochenmarkt in Überlingen angewiesen war, nahmen die st.gallischen Kornhändler die Kunde von der Wiederaufnahme des Marktes nach Kriegsende nicht einfach freudig und vorbehaltlos entgegen.

Sie störten sich an den aus ihrer Sicht zu hohen Zöllen und weiteren Kosten, mit denen Überlingen die Ausfuhr von Getreide belegt hatte. Sie würden am Überlinger Markt erst wieder teilnehmen, wenn die Zölle und die Kosten herabgesetzt würden, wie das bei anderen Marktorten wie etwa Radolfzell bereits geschehen sei.

Ob und wie weit Überlingen dem Begehren der St.Galler Kornhändler stattgab, ist nicht bekannt; zumindest enthält die St.Galler Missivensammlung keine weitere Korrespondenz dazu.

Anzunehmen ist aber, dass doch noch eine Lösung gefunden wurde, waren doch die Beziehungen zwischen Überlingen und St.Gallen nach wie vor eng: St.Gallen hatte Überlingen ein Jahr zuvor, im Herbst 1649, ein Darlehen über 12'000 Gulden gewährt, mit dem es Überlingen ermöglicht wurde, die Satisfaktionszahlungen an Schweden als Voraussetzung für den Abzug der Besatzungsarmee zu leisten.

Plan von Überlingen von Mattäus Merian, gedruckt 1643 in Frankfurt Bild: Wikimedia Commons

Überlingen, vormals eine reiche Stadt, war nach dem Krieg wie Tausende deutscher Dörfer und Städte total verarmt und deshalb auf solche Darlehen angewiesen, aber auch auf selbst generiertes Einkommen, wozu eben auch Ausfuhrzölle gehörten.

St.Gallen seinerseits war darauf angewiesen, die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln sicherstellen zu können. Und dazu gehörte in erster Linie das Getreide, das hauptsächlich auf dem süddeutschen Hauptkornmarkt in Überlingen erhältlich war.

Die Kontakte zwischen den beiden Städten brachen denn auch nicht ab, nur schon wegen des Darlehens. Überlingen war über viele Jahre hinweg mit den Jahreszinsen und der ratenweisen Rückzahlung der Hauptschuld in Verzug; St.Gallen musste immer wieder mahnen, bis die Angelegenheit im Jahr 1688, knapp 40 Jahre nach der Darlehensgewährung, endlich erledigt werden konnte.

Es darf deshalb angenommen werden, dass man sich in Bezug auf Zölle und Kosten beim Getreidehandel auf eine Lösung einigen konnte, die wohl eher im Sinn der St.Galler Kornhändler war, und der Handel wieder ohne (Zoll)Hindernisse abgewickelt werden konnte.

Die erwähnten Missiven Nrn. 4061 und 4062 sind abrufbar unter:

Alle anderen edierten Missiven finden Sie hier:

Literatur:

  • Göttmann, Frank: Getreidemarkt am Bodensee. Raum – Wirtschaft – Politik – Gesellschaft (1650-1810), St. Katharinen 1991.
  • Göttmann, Frank: «Schwaben ist der Schweiz Frucht- und Kornkammer». Der Kornhandel am Bodensee, die Landwirtschaft, das Heimgewerbe und die Ernährung der Bevölkerung im 18. Jahrhundert, in: Leben am See. Heimatjahrbuch des Bodenseekreises, Tettnang 1991, S. 85–97.
  • Sonderegger, Stefan: Landwirtschaftliche Spezialisierungen in der Region Ostschweiz und ihre Bedeutung für den interregionalen Austausch zwischen Oberschwaben und der Ostschweiz, in: Hirbodian, Sigrid / Kiessling, Rolf / Weber, Edwin Ernst (Hgg.): Herrschaft, Markt und Umwelt. Wirtschaft in Oberschwaben 1300-1600 (Oberschwaben. Forschungen zu Landschaft, Geschichte und Kultur, Band 3), Stuttgart 2019, S. 159–182.
  • Sonderegger, Stefan: Politik, Kommunikation und Wirtschaft über den See. Zu den Beziehungen im Bodenseegebiet im Spätmittelalter, in: Gesellschaft für Heimatpflege (Kunst- und Altertumsverein) in Stadt und Landkreis Biberach e.V. (Hg.): Oberschwaben und die Schweiz (Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach, Sonderheft), Biberach 2008, S. 34–45.
  • Stadelmann, Nicole: Ausrausch übers Wasser. Wirtschaftliche Beziehungen und Arbeitsalltag zwischen dem Nord- und Südufer des Bodensees, in: Huber-Rebenich, Gerlinde / Rohr, Christian / Stolz, Michael (Hgg.): Wasser in der mittelalterlichen Kultur / Water in Medieval Culture. Gebrauch – Wahrnehmung – Symbolik / Uses, Perceptions and Symbolism (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Band 4), Berlin / Boston 2017, S. 206–220.
Werner Hagmann / Toggenburg24