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16.01.2021

600 Jahre alte Briefe im Stadtarchiv

Alle diese 30'000 Briefe werden im Laufe des nächsten Jahres fotografiert und danach ins Internet gestellt. (Bild: zVg vom Stadarchiv St.Gallen)
Alle diese 30'000 Briefe werden im Laufe des nächsten Jahres fotografiert und danach ins Internet gestellt. (Bild: zVg vom Stadarchiv St.Gallen) Bild: stadtarchiv st.gallen
Wussten Sie, dass im Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde mehr als 30'000 Briefe liegen? Die ältesten sind knapp 600 Jahre alt.

Damals war Amerika noch nicht entdeckt worden, aber Briefe geschrieben haben die Leute vorher schon. Manche schrieben seitenweise und legten dann noch weitere vollbeschriebene Blätter dazu. Wie E-Mail mit Attachment von heute. Andere schrieben nur ganz kurz, «wir treffen uns morgen um 11Uhr». Wie SMS von heute.

Brief brauchte von Ungarn her zwei Wochen

SMS und E-Mail sind allerdings etwas schneller unterwegs. Eine St. Gallerin, Frau Baumhart, war gestorben. Ihre Tochter, Eva Holzwart, war nach Ofen in Ungarn ausgewandert. Sie schrieb von dort nach St. Gallen, damit ihr Anteil am Erbe ihrer Mutter zu ihr transportiert wird. Dieser Brief braucht von Ungarn nach St. Gallen knapp zwei Wochen.

Von schlechten bis zu guten Nachrichten

Der Brief von Ursula Ruchenacker von Steinach nach St Gallen brauchte nicht so lange. Das sind ja auch nur gerade 15 Kilometer. Es eilte der armen Frau aber auch: Ursula wurde nämlich von ihrem Ehemann betrogen. Er hatte eine Geliebte, und Ursula musste ihr ihre schönsten Kleider und all ihren Schmuck geben. Sie war verzweifelt und beschwerte sich beim Stadtrat von St. Gallen. Wie dieser reagiert hat, wissen wir leider nicht.

Aber auch Erfreuliches findet sich in den Briefen. Herr Kurtz erfand in Stuttgart eine Art Feuerlöscher auf Rädern. Man könnte fast behaupten, es sei das erste Feuerwehrauto. Herr Kurtz liess grosse farbige Prospekte drucken, mit einer Abbildung und einer Beschreibung seiner neuen Maschine. Diese schickte er dann an mögliche Käufer. Und er machte bis nach St. Gallen Werbung für seine Erfindung.

(Bild: Stadtarchiv St.Gallen, Altes StadtA, Missiven, Beilagen zu 1793 Dezember 24) Bild: stadtarchiv st.gallen

Altes Papier mit Wasserzeichen

Manchmal muss man etwas genauer hinschauen, um das Schöne zu sehen. Manchmal muss man die Briefe auch gegen das Licht halten. Altes Papier hat nämlich häufig ein Wasserzeichen, und das kann die kuriosesten Formen annehmen: einen Turm, eine Krone, ein Pferd, einen Stierkopf oder eine Schnecke. Oder auch eine Frau.

(Bild Stadarchiv St.Gallen, Altes StadtA, Missiven, Beilage zu (17)93 November 4) Bild: stadtarchiv st.gallen

Entscheide mit Käselaib von Glarus nach St. Gallen

Die Verwaltung braucht bekanntlich viel Papier. Vor 230 Jahren war das nicht anders als heute. Wenn damals eine Stadt in der Eidgenossenschaft etwas entschied, was alle Verbündeten anging, wurde alles abgeschrieben und den Verbündeten zugestellt. So schickten im Oktober 1779 die Herren von Glarus ihre Entscheide nach St. Gallen. Das war ein ziemlich dickes Paket. «Wie hübsch!», vermerkte der Archivar, weil die Glarner gleich noch einen Käselaib mitschickten. Und der wog mindestens 30 Kilogramm.

(Bild Ausschnitt aus Stadtarchiv St.Gallen, Altes StadtA, Missiven, 1779 Oktober 21) Bild: stadtarchiv st.gallen

Alle 30'000 Briefe werden nächstes Jahr fotografiert

Zwischen den unscheinbaren Briefen versteckt sich vieles, das man nicht erwarten würde: offizielle Neujahrsgrüsse von befreundeten Städten; Bestätigungen vom französischen König, der aber nicht auf Papier schrieb, so wie alle anderen, sondern auf teurerem Pergament, also Tierhaut; Nachrichten vom Berner Sanitätsrat, dass in Italien die Pest ausgebrochen sei, und vieles mehr.

Alle diese 30'000 Briefe werden im Laufe des nächsten Jahres fotografiert und danach ins Internet gestellt. So werden diese Schätze der Forschung und der interessierten Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt – als kulturelle Dienstleistung des Stadtarchivs der Ortsbürgergemeinde für die Allgemeinheit.

Claudia Sutter, wissenschaftliche Mitarbeiterin Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde