Für stgallen24.ch stellt Ziegler in unregelmässigen Abständen Preziosen aus Schopenhauers handschriftlichem Nachlass vor. Heute: Philosophieren mit Schopenhauer, Teil 4.Fortsetzung, den Teil 3 finden Sie hier
Über den Tod
Man müsse nur hübsch alt werden, dann gebe sich alles, schrieb Schopenhauer 1849 in seinem sechzigsten Jahr. Nun, damit ist es so eine Sache, gehör doch dazu auch das unaufhaltsame Herannahen des Todes. Zwar haben Platon, Cicero, Michel de Montaigne und viele andere sinngemäss gelehrt, Philosophieren heisse, sterben lernen: «tota vita dicendum est mori» (das ganze Leben muss man sterben lernen), lesen wir bei Seneca. Mit diesem ernsten Thema hat Schopenhauer immer wieder befasst und seine beiden grossartigen Texte sind mir ein steter Anstoss des Nachdenkens.
Trost und Hilfe für Soldaten?
Ein Büchlein mit dem Titel «Schopenhauer, Über den Tod» und auf dem Deckblatt die Bezeichnung «Feldpostausgabe» wurde um 1915 im Hyperion-Verlag Berlin herausgegeben und enthält Kapitel 41 aus Schopenhauers Hauptwerk – eben: «Ueber den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich». Es ist unwahrscheinlich, dass der 1917 aus einem deutschen Gefangenenlager entflohene russische Sergeant Grischa diese «Feldpostausgabe» auf sich trug. Möglich wäre jedoch, dass Arnold Zweig (1887-1968), der den Roman «Der Streit um den Sergeanten Grischa» schrieb, das Büchlein dabei hatte, als er Armierungssoldat in Serbien und Verdun («Erziehung vor Verdun») und seit 1917 Schreiber und Zensor in der Presseabteilung Ober-Ost (Gebiet des Oberbefehlshabers Ost, deutsches Besatzungsgebiet an der Ostfront, 1915 bis 1918) war; wir wissen es nicht. – Sicher ist, dass diese «Feldpostausgabe» ein ergreifendes Zeitdokument ist: ein Text Schopenhauers, der den Soldaten des Ersten Weltkriegs vermutlich hätte Trost und Hilfe sein sollen. (In den Gräben von Stalingrad sollen deutsche Soldaten Jacob Burckhardts «Weltgeschichtliche Betrachtungen» gelesen haben.)