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Lifestyle
30.05.2021

So viel zu tun – keine Zeit

Besuche in Zeitfenstern von zwei oder drei Stunden.
Besuche in Zeitfenstern von zwei oder drei Stunden. Bild: schweizerpapi.ch
Es ist ein Phänomen, dass ich immer wieder beobachte. Menschen, die eigentlich regelmässigen Kontakt pflegten, haben plötzlich keine Zeit mehr. Sie sind immer sehr beschäftigt. Ihre Ausreden sind nicht zu übertreffen.

Manchmal ereilt eine längere Krankheit Angehörige. So ist es mir geschehen. Seit mehr als einem halben Jahr betreue ich einen schwerkranken Menschen. Am Anfang konnte ich mich kaum wehren, so viele Menschen suchten uns auf und boten ihre Hilfe an. Sie besuchten uns immer in ihren Zeitfenstern. Zeitfenster sind manchmal zwei Stunden oder drei und nur, wenn es gerade passt. Doch es kam der Tag, an dem sie immer weniger kamen.

Manche riefen gar nicht mehr an, manche telefonierten und erzählten mir von ihren unendlichen Verpflichtungen. Es sind meist nicht mehr arbeitstätige Menschen, also pensionierte.

 

 

Eine unangenehme Situation zeitbegrenzt aushalten, nicht davonlaufen. Bild: bewegungswerkstatt.cc

Ausreden statt Wahrheiten

«Ach, die Enkelkinder sind schon streng», «meine Tochter schliesst gerade noch ihre zweite Ausbildung ab und braucht mentale Unterstützung», ich habe so viele soziale Verpflichtungen, obwohl ich sie reduziert habe. Doch eigentlich nehme ich nur noch ein bis zwei Verpflichtungen pro Tag war». «Ich fahre an fünf Tagen Rotkreuzdienst, da bleibt mir keine freie Minute.» «Ich muss noch packen, da wir in die Ferien gehen, ich werde mich nach den Ferien wieder melden». So könnte ich die Liste unendlich fortsetzen. Wenn ich diese Ausreden höre, so denke ich auch oft, dass diese Menschen sich denken: «puuh, lieber sie als ich».

Ich kann es sehr gut verstehen, dass man lieber nicht mit einer schweren Krankheit ständig konfrontiert werden möchte. Doch was liegt näher als die Wahrheit. Statt der ständigen Ausreden wäre mir lieber, wenn die Menschen mir einfach sagen würden: «Ich kann das nicht.»

Das ist nicht schön für denjenigen, der die Unterstützung gut gebrauchen könnte. Ja, die Ausreden haben auch ihren Preis. Die eine Aussage macht eine gewisse Zeit traurig, die andere entwickelt eine Wut, zumindest in mir.

Schwere Krankheiten gehören zum Leben. Man kann sie verdrängen, was auch legitim ist. Man kann aber auch viel lernen, wenn man von aussen in die Geschichte hineinkommt und nach einer gewissen Zeit wieder nach Hause geht. Sie zeigt einem die Grenzen der Gesundheit, dass sie nicht selbstverständlich ist, und dass das Leben endlich ist.

Patricia Rutz/Toggenburg24