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Kultur
30.08.2021

Ausstellung fokussiert auf lokal verankerte Künstler:innen

Die Ausstellung «Bestimmt» wird am 3. September 2021 eröffnet.
Die Ausstellung «Bestimmt» wird am 3. September 2021 eröffnet. Bild: zVg
Zum 50. Jubiläum des Schweizer Frauenstimmrechts präsentiert die Gebert Stiftung für Kultur die Ausstellung «Bestimmt», die auf junge, lokal verankerte Künstler:innen fokussiert.

Die Ausstellung vereint Werke von Morena Barra, Claude Bühler, Martina Mächler, Thi My Lien Nguyen und Kira van Eijsden. Sie stellt Fragen in Bezug auf heutige, brisante Themen, mit denen sich Kunstschaffende aus der Region beschäftigen, Fragen, zu denen sie stehen und für die es sich lohnt weiterzukämpfen. Von Wut und Zorn gegen das Patriarchat über Erotik- und Genderfragen bis hin zu Alltagsrassismus im Umfeld von Menschen mit Migrationsgeschichten werden Besucher:innen mit heterogenen Themen konfrontiert, die dennoch auf einer tieferen Ebene miteinander verbunden sind.

Feministischer Diskurs

Die Ausstellung bietet den eingeladenen Künstler:innen eine Plattform, um die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit den jeweilig behandelten Themen zu unterstreichen und diesen zusätzliches Gehör zu verschaffen. Ferner knüpft sie, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, an den feministischen Diskurs und dessen Einbettung in der breiter angelegten Diskussion über soziale Konflikte als Treibkraft des Gesellschaftswandels an, zu denen der Konflikt zwischen den Geschlechtern ohnehin gehört.

Morena Barra über ideologische Gegensätze

Morena Barra (*1991 Neapel, lebt und arbeitet in St. Gallen) beschäftigt sich in ihren Videoarbeiten aus einer klar feministischen Perspektive mit soziokulturellen und soziopolitischen Themen. Erotik und Körperlichkeit, die die Künstlerin gekonnt und ohne Berührungsängste erforschend abbildet, spielen dabei eine wesentliche Rolle, sowohl visuell als auch inhaltlich. Im Fokus ihrer Recherche stehen ideologische Gegensätze, die Gesellschaftsstrukturen sowie einzelne menschliche Existenzen prägen: Norm und Abnorm, Realität und Surrealität, Lust und Schmerz, Leben und Tod. Indem sie sich gerade für das Dazwischen interessiert, versucht die Künstlerin scheinbar Zweideutiges zu verbinden und lotet somit die physischen und seelischen Grenzbereiche von Sexualität, Moral und Religion aus.

Hochästhetische und überdimensionierte Nahaufnahmen

In der Ausstellung zeigt Barra die dreiteilige Videoinstallation bouffer | friss, le pied | die Füsse, sentir | schmecke, le parfum | das Parfüm, die anfangs 2021 aus einer Zusammenarbeit mit dem Lausanner Fotografen Matthieu Croizier entstand. Hochästhetische und überdimensionierte Nahaufnahmen von ambivalent konnotieren Körperteilen lassen die Gefühle von Zuschauer:innen zwischen Anziehung und Abneigung, zwischen Lust und Ekel schwanken. Die nahezu überwältigenden Abbildungen von Füssen, Zungen und Achselhöhle haben etwas Monströses an sich, das ein Überdenken der normierten Verhältnisse zur Körperlichkeit anregt.

Das immerwährende Patriarchat

Kira van Eijsden (*1988 Wetzikon, lebt und arbeitet in Wetzikon) bewegt sich in den Bereichen Theater, Kunst und Vermittlung. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit feministischen Themen auseinander und hinterfragt die Narrative des immerwährenden Patriarchats und seine Auswucherungen, in denen alle Frauen, aber auch viele Männer und alle Menschen, die sich den Kategorien Mann und Frau nicht zugehörig fühlen, verwurzelt und gefangen sind. Van Eijsden sucht konkret nach Räumen und Möglichkeiten der Selbstermächtigung und zielt mit ihrer Arbeit darauf hin, solche Räume zu kreieren und dem Publikum erfahrbar zu machen.

Acht Videos, verschiedene Rollen

In der Ausstellung «Bestimmt» präsentiert die Künstlerin eine Mehrkanal-Videoinstallation mit dem Titel NEVERENDING I – Lärm machen. In acht unterschiedlichen Videos verkörpert die Künstlerin vor einem Green Screen verschiedene Rollen und Rollenmuster, die traditionell Frauen zugeschrieben werden. Van Eijsden untersucht diese körperlich, sprachlich, theoretisch und musikalisch.

Mit Verve, Selbstkritik und einer Prise Selbstironie nähert sich Van Eijsden der brisanten Thematik: eindringlich, kraftvoll, aber eben auch humorvoll. Ergänzt um eine ausführliche Hintergrundrecherche, die dem Entstehen der Arbeit voranging und die künstlerischen Praxis der Künstlerin fortlaufend begleitet, bietet die Arbeit den Betrachtenden reichlich Anschauungsmaterial und Raum zur Selbstreflexion. Indem das Publikum die Macht erhält, Filme auszuwählen oder auch Filme abzubrechen, wird ihm Raum überantwortet.

Minoritäre und nichtbinäre Perspektiven

Martina Mächler (*1991 Schübelbach, lebt und arbeitet in Zürich) interessiert sich für menschliche Ausdrucksformen und Verhaltensweisen, die bewusst aus minoritären und nichtbinären Perspektiven erkundet werden, um dadurch neue Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. In mehrteiligen Installationen, die Besucher:innen durch verschiedene Situationen und Räumlichkeiten führen, ergründet Mächler die unterschiedlichsten Mittel zur Disziplinierung des Selbst, u.a. Arbeitsbedingungen, technische und psychologische Mechanismen oder sprachliche und körperliche Gewohnheiten.

Radikales Umdenken

Ausgehend von der Arbeit from a lexicon of gestures, die 2019 für ein Zürcher Gymnasium konzipiert wurde, zeigt Mächler in der Ausstellung «Bestimmt» eine neue Installation. Alltägliche und ortsbezogene Gesten, deren Macht häufig auf unreflektierter Wiederholung fusst, stehen hier im Vordergrund und werden performativ erforscht. Indem Mächler die Aufmerksamkeit von Betrachter:innen auf flüchtige und untergeordnete Gesten lenkt, werden im Ausstellungsraum Erfahrungen möglich, die weder von festgelegten Codes vorbestimmt noch von einem klaren Ziel motiviert sind. Mit ihrer künstlerischen Praxis knüpft Mächler an die aktuelle Diskussion zur menschlichen Agency an und fordert auf subtile Weise deren radikales Umdenken.

Integration asiatischer Communities

Als Schweizerin mit vietnamesischen Wurzeln untersucht Thi My Lien Nguyen (*1995 St. Gallen, lebt und arbeitet in Winterthur) in ihren fotografischen Arbeiten die Dynamiken der Assimilierung und Integration von asiatischen Communities in abendländischen Regionen. Dabei geht es ihr hauptsächlich darum, die klischeehafte Vorstellung der gehorsamen und gut integrierbaren Minderheit kritisch zu beleuchten und die damit verbundenen Stereotypen aufzubrechen. Für die Ausstellung «Bestimmt» hat Nguyen die Arbeit Through my matriarchs neu produziert, die sich ebenfalls in diesem Themenbereich bewegt, wobei die Künstlerin hierfür den Fokus spezifisch auf ihre Vorfahrinnen lenkt und bewusst die Perspektive von Kindern von Einwanderern in zweiter Generation einnimmt.

Vietnamesische (Ess)kultur

2020 hat Nguyen das kulinarische Projekt «Mili’s Supperclub» ins Leben gerufen, bei dem die vietnamesische (Ess)kultur im Mittelpunkt steht. Durch die kritische Beleuchtung unseres Umgangs mit Nahrungsmitteln und der damit verbundenen Ernährungspolitik, untersucht sie die Verbindung zwischen Essverhalten und Identitätsbildung, insbesondere in diasporischen Gemeinschaften. Diese Fragen werden, nebst den Themen der Migration und Identität, im Rahmen von gemeinsamen Essen diskutiert. In der Performance Diasporic Food Experience, am 2. Oktober in der *ALTEFABRIK, wird Nguyen für das anwesende Publikum ein einfaches Mittagessen zubereiten. Interessierte können dies anschliessend gemeinsam verspeisen und sich mit der Künstlerin über die eigenen Essgewohnheiten unterhalten.

Gesellschaftskritische und feministische Themenbereichen

Claude Bühler (*1991 St. Gallen, lebt und arbeitet in St. Gallen und Bonstetten ZH) ist Künstlerin, Kuratorin und kulturelle Aktivistin. In ihrem visuellen Werk verbindet sie künstlerische Fotografie mit einem nüchternen, dokumentarischen Ansatz. Vermehrt auch mithilfe experimenteller Klangproduktion beschäftigt sie sich mit gesellschaftskritischen und feministischen Themenbereichen. Im Vorfeld der Arbeit it’s not science fiction setzte sich Bühler mit den internationalen Verstrickungen und Kollaborationen zwischen Game- und Rüstungsindustrie auseinander. Das gewaltige Ausmass der Materie zwang sie dazu, ihre Recherche örtlich zu begrenzen.

Schweizerische Waffenproduktion

2018 ist die Künstlerin den Orten der deutschen und schweizerischen Waffenproduktion nachgegangen. Insbesondere konzentrierte sie sich auf jene Produktionsstellen, die Kriegsmaterial an Länder liefern, die beim Konflikt im Jemen involviert sind. Entstanden ist eine realitätsgetreue Fotoserie, eine Topologie der Waffenproduktion in Deutschland und in der Schweiz. Die Arbeit ist Teil eines Denkprozesses, der noch nicht abgeschlossen ist und eindeutige feministische Ansätze aufweist. Einerseits manifestieren sich in kriegerischen Konflikten Strukturen und Konsequenzen des Patriarchats, andererseits ist das Sichtbarmachen von gerade solchen Mechanismen eine klare Forderung des feministischen Gedankens.

Salon vert

Seit 2019 gestaltet Bühler zusammen mit anderen Künstler:innen den salon vert, einen Ort für interdisziplinäre DIY-Musikproduktion und -recherche. In diesem Zusammenhang und als Teil der Ausstellung wird sie an der Kulturnacht 2021, am Samstag, 18. September, eine zusätzliche performative Arbeit präsentieren. Gemeinsam mit der Musikerin Tiziana Greco führt Bühler im Fabriktheater die Soundperformance unsafe spaces auf. Mit Stimme, Körper und elektronischen Instrumenten ermessen die zwei Künstler:innen düstere Räume und ein mächtiges, irres Ich. Betreten auf eigene Gefahr!

Gebert Stiftung für Kultur/stgallen24/Toggenburg24