Dies, weil die Produktion aus Kostengründen in Länder wie China oder Indien verschoben wurde und nun die Lieferfristen nicht mehr gewährleistet sind. Die «Bock»-Reportage zeigt auf, dass auf allen Ebenen geklagt wird. Lösungen – oder zumindest Ansätze – gibt es, doch es braucht auch diejenigen, die Verantwortung übernehmen und dem Patienten das richtige Heilmittel abgeben.
4800 Tonnen Medis landen im Müll
Erst im Februar berichtete der Kassensturz, dass 2022 in der Schweiz rund 4800 Tonnen Medikamente im Müll landeten. Umgerechnet ist das ein Warenwert von geschätzten vier Milliarden Franken, der wohl jährlich vernichtet wird. Man stelle sich die Zahl vor: 4 000 000 000 Franken! Gelder, die vielleicht anderswo, wie etwa in der Forschung, eingesetzt werden könnten. Offensichtlich wird das Problem dann, wenn der Fokus auf die praktische Handhabung gerichtet wird. Sehr oft werden zu grosse Packungen an Patient:innen abgegeben, die dann nicht vollständig aufgebraucht werden und schliesslich im Abfall landen. Oder anders beschrieben: Die Medikamentenpackungen sind nicht mit der benötigten Menge an Arzneimitteln kompatibel. Grund dafür: Kleinstmengen, wie etwa einzelne Pillen, dürfen von Gesetzes wegen nicht herausgegeben werden. Deshalb erhält die Kundschaft in den Arztpraxen oder Apotheken oft zu viele Tabletten oder diese gar in Grosspackungen, da die Verfügbarkeit von kleineren Dosen nicht immer gewährleistet ist. Und gleichwohl gibt es in der Schweiz vereinzelte Apotheken, die einzelne Medikamente oder Filmstreifen herausgeben. Doch es bleibt ein Tropfen auf den heissen Stein, um den Abfallberg zu minimieren, da sich niemand der Verantwortung annehmen will.
Fribourger Modell versenkt
Die neuste Posse ereignete sich Anfang April. 2002 führte der Kanton Fribourg ein Modell ein, welches dafür sorgte, dass jährlich rund 3,4 Millionen Franken eingespart werden konnten. Hierfür wurden in Alters- und Pflegeheimen, welche nicht schon solche führten, hausinterne Apotheken eingerichtet. Diese erwarben Grosspackungen und gaben den Bewohner:innen nur so viele Medikamente ab, wie sie benötigten. Um Anreize zu schaffen, wurde eine Pauschalvergütung von 5.50 Franken pro Person und Tag eingeführt. Dieses Modell sorgte für vielerlei Vorteile und erhöhte die Qualität in der gesamten Gesundheitsbranche. Beabsichtigt war auch, dass alle Kantone dem Fribourger Modell folgen, doch 2018 geschah genau das Gegenteil: Weil im Bereich des Risikoausgleichs Anpassungen gemacht wurden, um die gesunden Versicherten zu entlasten, muss seither wieder über sämtliche Medikamentenabgaben bei allen Heimbewohner:innen Buch geführt werden. Die 15-jährige Erfolgsgeschichte des Kantons Fribourg fand daher keine Fortsetzung, auch wenn dieser nicht klein beigab, sondern in Bern eine Standesinitiative einreichte, welche die Weiterführung des eigenen Systems erlaubte. Während der Nationalrat die Initiative mit seinem Segen durchwinkte, verwarf der Ständerat diese an der letzten Frühlingssession haarscharf mit 21:20 Stimmen. Ausschlaggebend soll der plötzliche Stimmungswechsel der Mitte-Partei gewesen sein, die zuerst geschlossen hinter dem Nationalrat stand. Danach jedoch entschied sich die Hälfte der Mitte-Ständeräte dagegen. Groteskerweise reichte dieselbe Partie ein Postulat zur Kostendämpfung des Gesundheitswesens ein, bei dem auch das Fribourger Modell wieder zur Sprache kam. Schliesslich erklärte das Bundesamt für Gesundheit, dass es für das System in Fribourg gar keine Gesetzesänderung gebraucht hätte. Der Hund liegt darin begraben, dass die Krankenkassen keinen Mehraufwand leisten wollen und gleichzeitig die Vorgaben des Risikoausgleichs eingehalten werden müssen.
Auch Engpässe machen zu schaffen
Es klingt schon fast etwas surreal, doch es gibt eben auch die Kehrseite des Überschusses, nämlich den Medikamentenmangel. Die Fälle häufen sich, dass gewisse Medikamente schlicht nicht erhältlich sind. Bei rund 800 Arzneimitteln bestehen Stand Ende 2023 akute Lieferengpässe in der Schweiz, bei 200 sei die Situation ernsthafter Natur. Tendenz steigend. Der «Bock» wollte das genauer wissen und sprach unter anderem mit Danja Spring, Leiterin Kommunikation von Sandoz Pharmaceuticals mit Sitz in Rotkreuz ZG, und dem Facharzt für Allgemeine Innere Medizin Doktor Tilman Eckle, der seit März in der Rhypraxis in Feuerthalen tätig ist. Die Gründe für Lieferengpässe seien sehr vielseitig, wie alle Fachpersonen bestätigen. Ressourcenknappheit und Unterbrechungen der Lieferketten stechen dabei heraus. «Oft kommt es zu Engpässen, wenn ein Mitbewerber kurzfristig nicht lieferfähig ist und entsprechend die Nachfrage bei den anderen Anbietern so stark steigt, dass der Engpass nicht aufgefangen werden kann», erklärt Danja Spring.